Positionspapier der BVPG zur Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitsförderung„Empfehlungen der BVPG zur Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung“

Gemeinsam mit ihren Mitgliedsorganisationen hat die BVPG Empfehlungen für die zukünftige Ausrichtung von Prävention und Gesundheitsförderung erarbeitet und auf ihrer Mitgliederversammlung am 22. Mai 2023 verabschiedet. Dr. Beate Grossmann, Geschäftsführerin der BVPG, erläutert das Positionspapier.

Eine größere Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung kann nach Einschätzung der BVPG entscheidend zu einer verbesserten Lebensqualität der Bevölkerung in Deutschland beitragen, allerdings nur, wenn das Handlungsfeld fachlich, politisch und strukturell weiterentwickelt wird.

Die grundsätzliche Forderung nach Stärkung und Veranke­rung von Prävention und Gesundheitsförderung als eines ressortübergreifenden und vor allem die Verhältnisprävention berücksichtigenden Handlungsprinzips ist zentrales und zugleich verbindendes Element der folgenden fünf Empfehlungen:

  • Das Präventionsgesetz in eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik einbinden
  • Prävention und Gesundheitsförderung als Querschnittsaufgabe weiterentwickeln und ausbauen
  • Kommunale Gesundheitsförderung weiterentwickeln
  • Digitalen Fortschritt und wertebasierte Orientierung in Einklang bringen
  • Ziele, Pläne, Strategien: Bestehendes sichten und Mehrfachentwicklungen vermeiden


  • 1. Das Präventionsgesetz in eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik einbinden

    Die bisherige Umsetzungspraxis des am 25. Juli 2015 in Kraft getretenen Präventionsgesetzes zeigt, dass durch die föderale Struktur Deutschlands die gesetzgeberischen (also verpflichtenden und ggf. sankti­onsbewehrten) Möglichkeiten des Bundes auf die (vergleichsweise engen) Aufgabenbereiche der Sozialversi­cherungsträger und insbesondere die Erbringung vorgegebener finanzieller Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung und die soziale Pflegeversicherung beschränkt sind.

    Umso wichtiger ist da­her der Health-in-and-for-All-Policies-Ansatz als der zentrale Ansatz für eine zukunftsfähige Politik. Darum wäre es sinnvoll, zukünftig alle neuen Geset­zesvorha­ben auf Bundes- und Landesebene auf ihre gesundheitlichen Auswirkungen hin zu analysieren. Da­rüber hinaus gilt es, neue Wege der Zusammenarbeit der Ministerien zu schaffen, um die sektor- und ressort­übergreifende Zusammenarbeit dauerhaft zu ermöglichen.

    2. Prävention und Gesundheitsförderung als Querschnittsaufgabe weiterentwickeln und ausbauen

    Prävention und Gesundheitsförderung sind keine weitere „Säule“ des Gesundheitswesens, sondern eine basale Voraussetzung für ein resilientes und damit zukunftsfähiges Gemeinwesen. Deshalb, so die dringende Empfehlung, darf keinesfalls am Budget für Prävention und Gesundheitsförderung gespart werden! Auch wenn sich – aus ganz unterschiedlichen Gründen – in zunehmendem Maße Engpässe bei der Finanzierung der unterschiedlichen Sozialversicherungssysteme auftun und die öffentlichen Kassen leer sind: Effekt- und zielorientierte Ausgaben für die Prävention und Ge­sundheitsförderung sind Investitionen, die helfen, menschliches Leid durch Krankheiten, Invalidität oder Pfle­gebedürftigkeit zu vermindern und langfristig die entsprechenden Ausgaben in diesen Bereichen zu senken. Darüber hinaus sind auch für weitere gesellschaftspolitische Bereiche – bei mittel- und längerfristiger Be­trachtung – sekundäre Einsparungen zu erwarten.

    Ferner kann zweifellos menschliche Gesundheit nicht mehr entkoppelt von planetarer Gesundheit gesehen werden. Dies wird gegenwärtig durch die Klimakrise deutlich. Es gilt, die vielfältigen Einflüsse des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit in den Blick zu nehmen und gemeinsam zu handeln. Da die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels und die individuellen Ressourcen zu deren Milderung ungleich in der Bevölkerung verteilt sind, müssen neben allgemeinen Maßnahmen insbesondere Maßnahmen zur Förderung und Verbesserung ge­sundheitlicher Chancengleichheit entwickelt und zur sozialen Inklusion in den Lebenswelten des Alltags um­gesetzt werden.

    Ein weiteres Ziel muss dabei sein, die individuelle wie auch die organisationale Sicherheits- und Gesundheits­kompetenz zu stärken, damit insbesondere strukturell benachteiligte Personengruppen in die Lage versetzt werden, selbst und/oder unterstützt durch das Bildungs-, Sozial- bzw. Gesundheitssystem u. a. relevante Ge­sundheitsinformationen zu finden, zu verarbeiten und zu verstehen sowie zu angemessenen gesundheitsbe­zogenen Entscheidungen zu kommen.

    3. Kommunale Gesundheitsförderung weiterentwickeln

    Um diese Empfehlung zu realisieren, bedarf es tragfähiger Rahmenbedingungen: Prävention und Gesundheitsförderung sollten zu pflichtigen Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung und als Pflichtaufgaben in den Gesundheitsdienstgesetzen der Länder für den Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) verankert werden – und auch die Finanzierung von zielgruppenbezogenen Gesundheitsför­derungsmaßnahmen vor Ort muss dauerhaft gesichert sein. Strukturell betrachtet, liegt die Verantwortung dafür bei den Kommunen. Im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung müssen Kommunen dabei aber unterstützt werden.

    Mit dem Pakt für den ÖGD hat der Bund dafür bereits den Grundstein gelegt. Darüber hinaus sollte geprüft wer­den, ob nicht auch auf das Handlungsfeld „Prävention und Gesundheitsförderung“ übertragen werden könnte, was in anderen Bereichen (Straßenbau, Hochschulbau, digitale Aufrüstung von Schulen etc.) in Sachen „Trans­ferleistungen des Bundes an die Länder und Kommunen“ bereits erprobt worden ist. So könnte der Bund Mittel für den KiTa-Ausbau, das Teilhabepaket oder gleichwertige Lebensverhältnisse zur Verfügung stellen.

    Auch die gesetzlichen Krankenkassen sollen in der kommunalen Gesundheitsförderung unterstützend wirken, indem sie z. B. den Aufbau von Strukturen im Sinne einer Anschubfinanzierung finanziell fördern. Ein positives Ergebnis der bisherigen Umsetzungen der Regelungen des Präventionsgesetzes sind die Aktivitäten des GKV-Bündnisses für Gesundheit, die konsequent auf einen Abbau strukturell bedingter sozialer und gesundheitli­cher Ungleichheit hinwirken.

    4. Digitalen Fortschritt und wertebasierte Orientierung in Einklang bringen

    Autonomie, Empowerment, Partizipation und soziale Gerech­tigkeit – an diesen Werten orientiert sich Gesundheitsförderung. Gerade mit Blick darauf gilt es also zu prüfen, wie digitaler Fortschritt so gestaltet werden kann, dass dieser dem Menschen dient bzw. ausgeschlossen werden kann, dass er ihm schadet.

    Digitale Angebote sind kein „Allheilmittel“. Es muss genau differenziert werden, in welchen Bereichen digitale Angebote tatsächlich Chancen bieten, z. B. weil sie einen niedrigschwelligen Zugang ermöglichen, aber auch, wo diese Angebote nicht greifen. Konkret ist daher neben der Qualität jeweils zu prüfen, für wen, in welcher Situation, mit welchem Ziel das Angebot ein­gesetzt wird. Daneben sollte auch immer die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, digitale, hybride und nicht-digitale Maßnahmen kombiniert – und nicht im Sinne eines Entweder-Oders – weiterzuentwickeln und anzubieten. Auch sollte die Barrierefreiheit stets berücksichtigt werden.

    5. Ziele, Pläne, Strategien: Bestehendes sichten und Mehrfachentwicklungen vermeiden

    Für die Gemeinschaftsaufgabe „Prävention und Gesundheitsförderung“ sind in Deutschland viele verschiedene Akteure zuständig. Das führt zu einer bunten und kaum noch überschaubaren Vielfalt von Aktivitäten im Handlungsfeld. Gefordert ist deshalb eine bessere Integration und Koordination der Pflichten und Aufgaben, aber auch der Finanzierungs- und Evaluierungsbedarfe auf Seiten der zahlreichen unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure und Aktivitä­ten, damit Konfliktpotentiale erkannt und Doppelentwicklungen ebenso wie Mehrfachfinanzierungen vermieden werden können.

    Das Positionspapier kann hier heruntergeladen werden (PDF).

    Lesen Sie dazu auch:

    Dr. Beate Grossmann, Geschäftsführerin der BVPG, zum Positionspapier „Eckpunkte der zur Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG) zur Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes (PrävG)“.  

    Interview mit Dr. Rüdiger Krech, Director Health Promotion, Division of Universal Health Coverage and Healthier Populations, WHO, zum 75. Jubiläum der WHO: „Health For All – 75 years of improving public health“.

    Mehr zu Prävention und Gesundheitsförderung erfahren Sie hier.

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    Dr. Beate Grossmann | Seit 2016 Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG). Zuvor war sie dort als stellvertretende Geschäftsführerin, wissenschaftliche Referentin und Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Frau Dr. Grossmann ist Mitglied in nationalen Gremien, Autorin zahlreicher Veröffentlichungen und angefragt für vielfältige Beratungs-, Gutachtens-, Vortrags- und Moderationstätigkeiten.

    Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt: ÖGD„Viel Potenzial für den ÖGD als Träger der Gesundheitsförderung“

    Der Beirat Pakt ÖGD (Beirat zur Beratung zukunftsfähiger Strukturen im Öffentlichen Gesundheitsdienst in Umsetzung des Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst) hat seine Empfehlungen zur Weiterentwicklung des ÖGD in drei Berichten veröffentlicht. Zu den Mitgliedern des Beirates gehört auch die BVPG. Dr. Johannes Nießen, Vorsitzender des Beirates, erklärt die geplante Neuausrichtung.

    Die Gesundheitsförderung gehört gemäß dem von der Gesundheitsministerkonferenz verabschiedeten ÖGD-Leitbild zu den Kernaufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Auf kommunaler Ebene gibt es deutschlandweit rund 400 Gesundheitsämter, die prädestiniert sind, Gesundheitsförderung vor Ort zu leben. Wie kann man sich die Umsetzung in einem „modernen ÖGD“ vorstellen?

    Von grundlegender Bedeutung bei der Förderung und dem Ausbau von Gesundheit ist die Erhöhung der gesundheitlichen Chancengleichheit. Hier muss eine Erreichbarkeit auf allen Ebenen und in allen sozialen Schichten stattfinden.

    Die Nutzung von Kooperationen und Netzwerken, wie dem gesunden Städte-Netzwerk, kann dabei einen großen Beitrag leisten. Das gesunde Städte-Netzwerk ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Kommunen und besteht derzeit aus 92 Mitgliedern. Das Netzwerk verfolgt das Ziel, Gesundheitsförderung im alltäglichen Umfeld der Menschen zu etablieren. Hierbei soll Gesundheitsförderung beispielsweise in Quartieren, Schulen, Kitas, Familien- und Alteneinrichtungen langfristig auf- und ausgebaut werden. Das Netzwerk versteht sich als kommunale Kommunikationsstelle auf Bundesebene für den Aufbau einer lebensweltlichen Gesundheitsförderung in Städten und Gemeinden.


    Wo wurde kommunale Gesundheitsförderung bereits erfolgreich umgesetzt?

    Als Beispiele für eine gelungene Umsetzung kommunaler Gesundheitsförderung vor Ort zählen die lokalen Stadtteil-Gesundheitszentren in Hamburg, das Präventionsnetz im Bezirk Berlin Mitte, die Gesundheitsgespräche in Köln sowie auch die Hitzeaktionspläne verschiedener Kommunen.

    In Hamburg soll in Stadtteilen mit hohen Problemlagen mithilfe von sieben lokalen Gesundheitszentren die medizinische Versorgung und soziale Unterstützung verbessert werden. Die lokalen Gesundheitszentren bestehen mindestens aus einer haus- und/oder kinderärztlichen Praxis, einer modernen Form der „Gemeindeschwester“ und einer Sozialberatung. Darüber hinaus besteht eine verbindliche Kooperation mit Pflegediensten sowie gesundheitlichen und sozialen Angeboten.

    Das Präventionsnetzwerk in Berlin-Mitte hat zum Ziel, ein flächendeckendes präventives Angebot über alle Lebensphasen und Lebenssituationen im Bezirk zu organisieren. In diesem Kontext sind Schwerpunktmaßnahmen beschlossen, die für das Erreichen der nationalen Gesundheitsziele von herausragender Bedeutung sind.

    Im Rahmen der Kölner Gesundheitsgespräche können sich Kölnerinnen und Kölner über ein vielfältiges Spektrum an Gesundheitsthemen informieren. Neben entsprechenden Fachvorträgen gibt es die Möglichkeit zur Klärung offener Fragen, zur Diskussion sowie zum gemeinsamen Austausch.

    Das Verbundprojekt „Hitzeaktionsplan für Menschen im Alter für die Stadt Köln“ steht beispielhaft für die Hitzeaktionspläne verschiedener Kommunen und verfolgt das Ziel, die gesundheitlichen Risiken durch Hitzeperioden für Menschen im Alter zu minimieren und die Gesundheitskompetenz insbesondere bei alleinlebenden Menschen über 65 Jahren zu erhöhen.

    Trotz dieser gelungenen Projekte und der Beobachtung, dass in großen städtischen Gesundheitsämtern die Gesundheitsförderung als Aufgabe etabliert werden konnte, wird der ÖGD in der Breite seinem Potenzial als Träger der Gesundheitsförderung im kommunalen Kontext noch nicht vollständig gerecht. Hier bestehen weiterhin Entwicklungsmöglichkeiten.


    Der moderne ÖGD soll bürgernah sein, eingebunden in kommunale Strukturen und gemeinwohlorientiert. Erreicht man mit dieser Ausrichtung Menschen mit erhöhtem Bedarf besser?

    Durch bürgernahe Angebote wie zum Beispiel Gesundheitskioske, Gesundheitslotsen und Beratungsstellen erreicht man tendenziell alle Bürgerinnen und Bürger besser. Bei vulnerablen Gruppen zeigt sich jedoch generell eine geringere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Durch niederschwellige Angebote sollte die Erreichbarkeit dieser Zielgruppe und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen weiter gesteigert werden.


    Durch seine vielfältigen Zugangsmöglichkeiten ist der ÖGD besonders geeignet, gesunde Städte und Kommunen entstehen zu lassen. Welche Potenziale werden bislang noch zu wenig genutzt?

    Viele Projekte in der Prävention und Gesundheitsförderung sind leider zeitlich zu sehr begrenzt. Gerade in sozial problematischen Stadtvierteln und Regionen müssen diese längerfristig stabilisiert werden. Viele gesundheitsfördernde Ansätze benötigen eine dauerhafte Finanzierung oder müssen über einen längeren Zeitraum unterstützt werden. Mit Zwei-Jahres-Projekten ist es da oft nicht getan.


    Welche Chancen ergeben sich durch die Arbeitsbeziehungen des ÖGD innerhalb der kommunalen Behörden für eine Umsetzung von „Health in All Policies“ – neben der Stärkung des ÖGD ein weiteres Schwerpunktthema der BVPG – auf lokaler Ebene? Inwieweit kann der ÖGD eine „Mittler-Rolle“ einnehmen und zur Verringerung der Versäulung beitragen?

    Innerhalb des ÖGDs ergeben sich Chancen durch das Einbringen der Themen Gesundheit, Gesundheitsförderung und Prävention in den gesamtstädtischen Steuerungsprozess. Durch ressortübergreifende Bedarfsanalysen, Planungsprozesse und rechtskreisübergreifende Umsetzung von Maßnahmen, zum Beispiel in Kooperation mit dem Jugendamt, Amt für Soziales und Senioren, Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Amt für Umwelt und Verbraucherschutz, kann das Thema „Health in All Policies“ als ein weiteres bedeutsames Thema des ÖGD umgesetzt werden.

    Die „Kommunale Gesundheitskonferenz“ des ÖGD bietet unter Beteiligung von Politik, Selbsthilfe sowie relevanten Entscheidungsträgern des Gesundheitswesens ein Plenum für den gemeinsamen Prozess der Erörterung und Weiterentwicklung der Prävention und Gesundheitsversorgung.


    Welches Gesundheitsamt könnte deutschlandweit als Blaupause dienen und warum?

    Aufgrund der Vielschichtigkeit des gesundheitlichen Bedarfs von Personen in unterschiedlichen Lebenslagen sowie der entsprechenden Methoden- und Maßnahmenvielfalt können im Allgemeinen die Gesundheitsämter großer Städte als Blaupause genannt werden.

    Darüber hinaus können einzelne, innovative Projekte als Vorbild dienen, welche dort ansetzen, wo die Potenziale des ÖGD bislang zu wenig genutzt werden.

    So zielt beispielsweise das langfristig angelegte Projekt „aufgeweckt“ des Gesundheitsamtes des Rhein-Kreises Neuss in Kooperation mit Krankenkassen sowie mit vielfältigen Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern vor Ort auf die Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen in sozial benachteiligten Stadtteilen ab. Über die lange Projektlaufzeit konnten u.a. Präventionsketten ausgebaut sowie die Maßnahmen kontinuierlich auf Aktualität und Bedarf überprüft werden.


    Der dritte Bericht des Beirates fordert eine Verbesserung der Forschungs- und Lehrstruktur und empfiehlt u.a. Kooperationen zwischen Gesundheitsämtern und universitären/außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Was erhoffen Sie sich von dieser wissenschaftlich fundierten Basis im Hinblick auf Ziele und Aufgaben des ÖGD?

    Im Hinblick auf die Ziele und Aufgaben des ÖGDs erhoffe ich mir eine bessere Vernetzung von Forschung, Wissenschaft und Praxis. Im Bereich der Forschung sind die Erhebungen und Analysen zur gesundheitlichen Situation der Bevölkerung als Grundlagen der Bedarfsermittlung und Gesundheitsplanung, u.a. in Bezug auf Ressourcensteuerung und sozialkompensatorische Angebote relevant.

    Im Bereich der Wissenschaft ist eine engere Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen und Akteuren der gesundheitlichen Versorgung und Politik notwendig. Hierbei ist es wichtig, Wissensbestände, Erfahrungsschätze und bewährte Strukturen eines sehr ausdifferenzierten ÖGDs aufzuzeigen und diese in der Praxis zu implementieren.


    Multiprofessionell und interdisiziplinär soll der zukünftige ÖGD sein. Wer wird gemäß der Personalaufwuchskonzepte gesucht? Wie wird diese Ausrichtung auch die Aus- und Weiterbildung verändern?

    Gemäß der Personalaufwuchskonzepte werden vornehmlich Hygienekontrolleure, Fachärztinnen und Fachärzte, wissenschaftliche Mitarbeitende aus dem Bereich Gesundheitswissenschaften und Public Health sowie Mitarbeitende im Bereich der Verwaltung gesucht. Eine stärkere Integration der genannten Berufsgruppen soll durch Inhalte des ÖGD in relevanten Ausbildungen und Studiengängen erfolgen.


    Der Beirat hat 2021 seine Arbeit aufgenommen und ist für die Dauer von zwei Jahren vom Bundesminister für Gesundheit im Einvernehmen mit der Gesundheitsministerkonferenz berufen worden. Diese erste Arbeitsperiode läuft nun aus. Wie geht es weiter?

    In der zweijährigen Mandatszeit hat der Beirat Pakt ÖGD drei Berichte zu folgenden Themen veröffentlicht:

    1. Empfehlungen zur Weiterentwicklung des ÖGD zur besseren Vorbereitung auf Pandemien und gesundheitliche Notlagen
    2. Empfehlungen für abgestimmte Kommunikationswege und -maßnahmen über Verwaltungsebenen hinweg in gesundheitlichen Krisen
    3. Wissenschaft und Forschung im und für einen zukunftsfähigen ÖGD

    Die drei Berichte wurden dem Gesundheitsminister am 16.03.2023 überreicht. Nun beginnt die zweite Mandatszeit des Beirates Pakt ÖGD, die bis Ende 2026 dauert. Sie ist somit angelehnt an den Zeitraum, in dem der Bund mit dem Pakt für den ÖGD vier Milliarden Euro für Personal, Digitalisierung und moderne Strukturen zur Verfügung stellt.


    Die Fragen stellte Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG).

    Lesen Sie dazu auch:

    Interview mit BVPG-Präsidentin Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB: „Es muss einfacher werden, einen gesunden Alltag zu leben.“

    Interview mit Prof.in Dr. Dagmar Starke, kommissarische Leiterin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf (AÖGW) und BVPG-Vorstandsmitglied: „In einem modernen ÖGD wird Gesundheitsförderung zum Coachingprozess“.

    Interview mit Caroline Costongs, Direktorin von EuroHealthNet (EHN): „We need a systemic change to protect the wellbeing of people and planet.“

    Die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gehört zu den BVPG-Schwerpunkten 2021-2023. Informationen zur 21. BVPG-Statuskonferenz „Gesundheit gemeinsam fördern – die Bedeutung des ÖGD für die kommunale Prävention und Gesundheitsförderung“ finden Sie hier.

    Mehr zu Prävention und Gesundheitsförderung erfahren Sie hier.

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    Dr. Johannes Nießen | Seit 2019 Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Köln. Zuvor Leiter des Gesundheitsamtes Bezirksamt Hamburg Altona, Mitarbeiter am Gesundheitsamt der Stadt Bonn. Vorsitzender des Beirates Pakt ÖGD (Beirat zur Beratung zukunftsfähiger Strukturen im Öffentlichen Gesundheitsdienst in Umsetzung des Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst) und Bundesvorsitzender des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD); Arzt für Allgemeinmedizin, öffentliches Gesundheitswesen und Sozialmedizin.

    Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt: Wellbeing„We need a systemic change to protect the wellbeing of people and planet“

    Why do we need to rethink the existing roles of public health, and what role do prevention and health promotion measures play at a community level? Caroline Costongs, Director of EuroHealthNet and keynote speaker at BVPG-status conference 2022, about Health in All Policies, the wellbeing of people and planet, and an “Economy of Wellbeing”.

    Population wellbeing and economic growth are intertwined and mutually reinforcing, as published by the Council of the European Union in 2019. This year, the European network of health promotion organisations, EuroHealthNet, published “An Economy of Wellbeing for health equity” (dossier in german: “Eine Ökonomie des Wohlergehens für die Gesundheitliche Gerechtigkeit“) presenting an alternative approach to our current economic system.

    First, thank you for the interview and for picking up on our publication, which indeed is important to us. The way in which we live, work and play is becoming increasingly unsustainable. Childhood obesity, for example, is rising to concerning levels. As recently reported one in three children in the WHO European region are now overweight or obese. This is simply not acceptable.

    Shockingly, recent statistics from Wageningen University in the Netherlands, found that only 3 percent of all foods marketed to children can be classified as healthy. They also highlighted that 79 percent of all supermarket food is unhealthy, mostly processed, or ultra-processed food, containing high levels of fat, salt, and/or sugar. Not only is this nutrient-poor food damaging to our health, but its production process is also having significant environmental impacts through increases in greenhouse gas emissions, land, and freshwater use and so on. Though this is only one example from one sector, there is much more evidence that illustrate our unsustainable and unhealthy ways of living.

    For example, the inequalities gap in Europe is staggering. One in four children within the European Union is at risk of poverty or social exclusion. This is fuelled through complex and multiple practices and policy action ranging from inadequate public services, to gentrification, and higher pollution levels in deprived areas. Profit making is too often at the cost of people and planet, while this doesn’t need to be the case. There are emerging examples of how commercial and profitable activities can be decoupled from the use of fossil fuels. Other examples show how businesses can thrive on healthy and well-paid workers. The Economy of Wellbeing concept encourages the developments of such practices and provides a clear vision, which we at EuroHealthNet promote through our policy paper.


    EuroHealthNet proposes the use of an alternative model to the current economic model through an “Economy of Wellbeing”. What is behind it and why might it be advisable for us to follow this approach?

    The “Economy of Wellbeing” is actually an approach that was developed in Finland by one of our member organisations, SOSTE, and has since been taken further by the Finnish government. The government were brave and visionary in proposing this approach – which was presented during their Presidency of the Council of the European Union in 2019 – which ultimately led to Council Conclusions on the Economy of Wellbeing.

    The model illustrates how the economy and wellbeing are two sides of the same coin. We simply cannot have one without the other. It builds on the widespread notion that the gross domestic product (GDP) cannot fully assess our economies alone and that new indicators and methodologies are needed to measure societal progress. It also presents arguments as to why wellbeing must be included in all governmental policies and decision making. In that sense it is complementary to earlier “Health in All Policies” concept (and presented by Finnish EU Council Conclusions in 2006).

    Despite this, the concept has not come without its critics, with some arguing that the Economy of Wellbeing doesn’t sufficiently prioritise the wellbeing of the planet. However, as the health of people and planet are intrinsically linked, the model would equally work for both environmental and social sustainability as reflected by Kate Raworth’s doughnut model of social and planetary boundaries.

    As health promoters we should aim for such a systemic change, one that benefits the health of everyone. We need to develop our capacities to advocate for such an approach at all levels, from local, regional to federal decision tables, contributing with sound evidence and solutions. Only then, by upstream engagement, our more downstream activities (which are also important) will pay off.


    What would have to change in concrete terms to promote and maintain our health and the health of the planet in the long term while achieving sustainable and long-term economic growth?

    The COVID-19 pandemic laid bare the various failures of our current economic and welfare systems. The severity of COVID-19 rose due to the already existing socio-economic and health inequalities that are present in our society in addition to the high levels of people who live with chronic diseases. Families living in low-quality housing and in deprived areas suffered more. Emerging data highlights an increase in calls relating to domestic violence with many women and children experiencing abuse and violence. Individuals with mental health problems or other health problems received delayed care, and so on.

    Social services have been hollowing out since the financial crisis in 2008 and we are now facing the backlash as a result. Building back the resilience of people can only be done through a consistent prioritisation of investment in people’s wellbeing – starting from the early years (first 1000 days and early childhood education and care), throughout the life course until long term care. Several EU policies and strategies, such as the European Pillar of Social Rights and the new European Care Strategy are examples that are paving the way forward to a fairer future.

    Prioritising actions that mitigate the climate crisis is also key. Phasing out fossil fuels, creating a responsible use of natural resources and protecting and promoting biodiversity, to name a few, is required if we are to safeguard the environment.

    The European Green Deal, including the European Union’s (EU) Farm to Fork Strategy and Fit for 55 packages, demonstrate that actions are being taken at EU level to achieve climate neutrality. However, more needs to be done to take forward the Economy of Wellbeing, if we are to hit all the targets outlined within the United Nation’s 2030 Agenda and Sustainable Development Goals.

    The pandemic alone has led to various rigorous actions that were taken in the course of the last two years. When there is a crisis and political will, important measures can be taken. . However, the question remains: How big does a crisis need to be (taking into consideration the current threat of climate crisis, food insecurity, social inequities, and under-valuation of essential workers), before real political action is taken?

    Political action needed is one that reflects this paradigm change of the Economy of Wellbeing, rethinking economic growth as a concept that includes social and environmental goals on an equal footing.


    For many, this sounds impossible or difficult to implement. How can an “Economy of Wellbeing for health equity” be translated into reality and what is the role of prevention and health promotion at the community level?

    We should not become overwhelmed with the scope of the change needed, but rather focus on the added value we can bring – through the strengthening of our community health approaches.

    However, we also need to be more ambitious. For example, we should make sure health promoting services get better funded. More and more public and private investors are keen to invest in programmes with green, social or health impacts. We need to stand ready with a pipeline of attractive solutions and clear and concrete proposals for action. In addition, Health promoters must not underestimate the potential power of legislation and make better use of our legislative systems.

    There are many initiatives already in place that we can use as strong examples of societal impact. Evidence-based interventions from WHO through its Best Buys, have had previous successes with smoking bans, along with case studies on the taxation on unhealthy and unsustainable products, green and healthy procurement laws, and advertising bans.

    We need to pro-actively engage with finance and legal actors to achieve the Economy of Wellbeing. We also need to make sure that our solutions address the real needs, and do not unintentionally worsen inequalities. We must co-create these solutions with targeted groups across the social gradient. This requires meaningful participation, giving communities a vested interest in their success, and opportunities for evaluation. By the way, there are already many local initiatives existing that benefit both health equity and the environment and organised by local communities. We should embrace, encourage and embed such initiatives in municipal public health and health promotion strategies and support them in the shift to an Economy of Wellbeing.


    Where is this already being implemented?

    A range of countries are already working with the Economy of Wellbeing concept, such as in New Zealand where, for example they have dedicated wellbeing budgets at national government.

    In Europe, it is of course Finland who are leading by example, as they strive towards developing an Economy of Wellbeing roadmap to achieve a better balance between the societal dimensions for a more sustainable and fairer development. I am part of an international expert group Finland has set up on this concept.

    The United Kingdom is also showing progress. In Scotland, for example, they have developed a Wellbeing Economy Monitor to measure how the country’s economy contributes to improving ideals that people value, such as health, equality, fair work, and environmental sustainability which the government uses to guide decision making. In Iceland they have a wellbeing framework with 39 indicators. Wales adopted a legal Act, namely, the “Well-being of Future Generations Act” that ensures the sustainability of future generations through environment, economy, society and culture – with a specific Commissioner and accountability processes in place.

    There are ample experiences and good practices out there that we can learn from. All of these countries are part of the international Wellbeing Economy Governments network, and of other partnerships that have started to emerge in this area, such as WeAll, of which EuroHealthNet is also a member.

    For Germany, which of course is a much bigger country, adopting an Economy of Wellbeing approach should also be feasible. The new Public Health Services Act (ÖGD) provides a great opportunity to rethink the roles of public health, health promotion and disease prevention in communities but also at national level. Important topics to consider are health inequalities, mental health, and climate change as part of a wider paradigm change such as the Economy of Wellbeing and how regional and local levels can best be supported.


    To achieve health and well-being of the population, the concept of “Health in All Policies” (HiAP) – among others a focus topic of the BVPG – is considered promising. What are the intersections between these two concepts?

    Addressing interlinked problems requires an intersectoral approach – encouraging system-thinking, setting common goals and joint financing. “Health in All Policies” is a key concept from the perspective of the health sector.

    We should consider the health impacts in all other sector policies and understand how to best approach this together to advance health. However, I find this concept less capable to bring other sectors together. Other sectors have their own sectoral priorities and are not necessarily inspired by health as an overarching goal. EuroHealthNet has tried with a new concept “Health for All Policies” but even that doesn’t greatly facilitate cooperation.

    The Economy of Wellbeing has a much bigger potential. Taking wellbeing as a horizontal ambition and vision to decide on trade-offs for the best outcomes for people and planet, the concept can be utilised to consider the interlinkages between sector challenges and include system-thinking as a mindset.

    Finally, it is also a vision for the wellbeing of our planet which is so urgently needed and currently lacking in the HiAP approach. However, at EuroHealthNet, we embrace both concepts, depending on the context of our work, to achieve a more resilient, equitable and sustainable societies. It is worth mentioning that at the 10th WHO Global Health Promotion Conference, a charter on wellbeing was issued, which I encourage you to have a look at too as well as our short film on the Economy of Wellbeing of course!


    The questions were posed by Linda Arzberger, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (Federal Association for Prevention and Health Promotion).

    Lesen Sie dazu auch:

    Interview mit Prof.in Dr. Dagmar Starke, kommissarische Leiterin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf (AÖGW) und BVPG-Vorstandsmitglied: „In einem modernen ÖGD wird Gesundheitsförderung zum Coachingprozess“.

    Weitere Informationen zur BVPG-Statuskonferenz „Die Bedeutung des ÖGD für die kommunale Prävention und Gesundheitsförderung“ erhalten Sie hier.

    Interview mit Prof. Dr. Ilona Kickbusch: Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Health in All Policies.

    Mehr zu Prävention und Gesundheitsförderung in den Lebenswelten erfahren Sie hier.

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    Caroline Costongs | Director of EuroHealthNet; she oversees EuroHealthNet’s Framework Agreement with the European Commission (2022-2026) and leads on EuroHealthNet’s MoU with WHO Europe (2021-2026). Priority areas include: health promotion across the life-course, NCDs prevention, food policy, climate change and health, mental health, digital health literacy and the Economy of Wellbeing; active in various EU and WHO fora, as well as in Advisory Boards of European projects and is a member of the ICC – International Council for the European Public Health Conference; international background with more than 25 years of experience in public health and health promotion; M.Sc. in Public Health from the University of Maastricht.

    Brussels-based, EuroHealthNet is a non-profit partnership of organisations, agencies and statutory bodies working to contribute to a healthier Europe by promoting health and health equity between and within European countries. EuroHealthNet achieves this through its partnership framework by supporting members’ work in EU and associated states through policy and project development, networking, and communications. It has connections with national and regional governments, as well as with the European institutions, and therefore a good understanding of how evidence and information on health equity can be introduced in current policy making agendas. The current President of EuroHealthNet is Prof. Dr. Martin Dietrich, acting director of BZgA, the Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Germany.

    Neue Präsidentin der BVPG: Dr. Kirsten Kappert-Gonther„Es muss einfacher werden, einen gesunden Alltag zu leben!“

    Auf der BVPG-Mitgliederversammlung 2022 wurde Dr. Kirsten Kappert-Gonther, MdB und amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, zur neuen BVPG-Präsidentin gewählt. Ein Interview über die Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes, klimasensible Gesundheitspolitik und die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.

    Als Brückeninstanz setzt sich die BVPG seit fast 70 Jahren für Strukturverbesserungen im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung ein. Was sind Ihre Ziele als neue Präsidentin?

    Gesundheit konstituiert sich im Wesentlichen im Alltag, also in den Lebenswelten. Während meiner 25-jährigen ärztlichen Tätigkeit habe ich immer wieder erlebt, welchen maßgeblichen Einfluss auf unsere Gesundheit die Bedingungen haben, unter denen wir arbeiten und wohnen. Das gilt explizit auch für die seelische Gesundheit.

    Zudem ist soziale Gerechtigkeit ein grundlegender Baustein für bessere Gesundheitschancen. Die Klimakrise ist die größte Gesundheitskrise, mit der wir konfrontiert sind. Und andersrum gilt: Was das Klima schützt, tut auch uns gut. Deswegen brauchen wir Städte für Menschen statt für Autos, gutes und gesundes Essen in Kita und Schule und sichere Arbeitsschutzbedingungen. Es muss einfacher werden, einen gesunden Alltag leben zu können. Dafür setze ich mich mit der BVPG und ihren Mitgliedsorganisationen ein!


    Bewegungsmangel, Übergewicht, gesteigertes Suchtverhalten, erhöhter Medienkonsum, Einsamkeit – durch die Pandemie sind die Risiken für gesundheitliche Probleme der Bevölkerung größer geworden. Einige Bevölkerungsgruppen sind stärker betroffen als andere. Wo sollte angesetzt werden, damit sich die gesundheitlichen Ungleichheiten nicht weiter verschärfen?

    Es ist richtig, dass die Pandemie, aber auch die beiden anderen großen Krisen – die Klimakrise und der Krieg gegen die Ukraine – unsere seelische und körperliche Gesundheit unter Druck setzen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen zeigt sich eine Zunahme seelischer Erkrankungen. Dabei müssen wir bedenken, dass seelische Wunden sich häufig erst umfassend zeigen, wenn die akuten Drucksituationen nachlassen.

    Das heißt: Es ist dringend notwendig, jetzt sekundärpräventiv tätig zu werden! Zu Recht sprechen Sie auch das Thema Einsamkeit an. Orte, die unwahrscheinliche Begegnungen wahrscheinlicher machen, können dabei helfen, Einsamkeit entgegenzuwirken. Dafür muss der öffentliche Raum ganz bewusst mit Grünflächen, Bänken und Bewegungsmöglichkeiten gestaltet werden.


    Im Koalitionsvertrag finden sich Vorhaben für den Bereich Gesundheit in Deutschland, u. a. die Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes. Auch die BVPG hat als Dachverband zusammen mit ihren Mitgliedsorganisationen ein Positionspapier veröffentlicht. Welche weiteren Themen sind für Sie richtungweisend in der 20. Legislaturperiode?

    Die Reform des Präventionsgesetzes halte ich für sehr wichtig. Der Schwerpunkt auf die Alltagswelten und die Verhältnisprävention muss gesetzlich abgebildet werden. Rücken- und Kochkurse sind für Einzelne sicherlich hilfreich, aber sie sind weniger nachhaltig als die Gesundheitsförderung, die im Alltag, quasi automatisch, entsteht.


    Zu den thematischen Schwerpunkten der BVPG 2021-2023 gehören die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) und der Gesundheitskompetenz sowie die Verankerung von Gesundheit in allen Politikbereichen (Health in All Policies, HiAP). Dies sind Zielsetzungen, die auch für Sie von großer Bedeutung sind.

    Ja, absolut. Der ÖGD birgt einen noch ungehobenen Schatz. Dafür müssen sich die öffentlichen Gesundheitsdienste zu Public Health-Zentren weiterentwickeln, die auch für die regionale Steuerung von Prävention und Gesundheitsförderung eine zentralere Rolle einnehmen.

    Und der Health-in-All-Policies-Ansatz ist dabei der zentrale Ansatz für eine zukunftsfähige Politik. Annähernd jede politische Entscheidung hat einen Einfluss auf unsere Gesundheit, ob Entscheidungen in der Verkehrspolitik, Landwirtschaft oder Energiepolitik. Darum wünsche ich mir einen Gesundheitscheck für alle Gesetze.

    Die BVPG kann das Bewusstsein dafür fördern, dass Gesundheit weit mehr ist als gute Versorgung im Krankheitsfall.


    Die Themen „Klimawandel und Gesundheit“ stehen in einem engen Zusammenhang. In diesem Jahr u. a. als Schwerpunkt der WHO zum Weltgesundheitstag, den die BVPG in Deutschland betreut, als auch beim Präventionsforum 2022, mit dessen Durchführung die BVPG seitens der Nationalen Präventionskonferenz beauftragt ist.

    Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Dieses Wissen setzt sich immer mehr durch. Die Erderhitzung gefährdet unsere Gesundheit, körperlich und seelisch. Es gibt zunehmend mehr Hitzetote in den heißen Sommern. Vor allem alte und chronisch kranke Menschen sind gefährdet, aber auch Menschen, die in schlecht gedämmten Wohnungen unter dem Dach leben oder im Freien arbeiten.

    Infektionskrankheiten nehmen zu, die Gefahr weiterer Pandemien wächst durch die Klimakrise. Auch die seelische Gesundheit wird durch die Klimakrise belastet. Traumafolgestörungen nach Extremwetterereignissen oder auch ansteigende Aggressivität durch Hitze sind hier Beispiele. Das Gute ist, dass Maßnahmen, die das Klima schützen, auch unserer Gesundheit helfen. Mobilität zu Fuß oder mit dem Rad reduziert Emissionen und Feinstäube in der Atemluft und somit Atemwegserkrankungen. Gleichzeitig ist die Bewegung gesund und macht glücklich.


    Die Fragen stellte Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.

    Lesen Sie dazu auch:

    Dr. Beate Grossmann, Geschäftsführerin der BVPG, zum Positionspapier „Eckpunkte der zur Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. zur Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes (PrävG)“.  

    Interview mit Prof.in Dr. Dagmar Starke, kommissarische Leiterin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen (AÖGW) und BVPG-Vorstandsmitglied, über die Bedeutung des ÖGD als zentralen Akteur für die kommunale Prävention und Gesundheitsförderung.

    Informationen zum Weltgesundheitstag 2022 mit dem Schwerpunkt „Klima und Gesundheit“ erhalten Sie hier.

    Interviews zu „Klima und Gesundheit“ mit Dr. Ina Zimmermann, Leiterin des Bereichs Gesundheitsförderung/Gesundheitsplanung im Gesundheitsamt der Stadt Nürnberg und Mitglied im Sprecher*innenrat des Gesunde Städte-Netzwerks, und mit Jörg Freese, Beigeordneter für Jugend, Schule, Kultur und Gesundheit, Deutscher Landkreistag.

    Mehr zu Prävention und Gesundheitsförderung erfahren Sie hier.

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    Dr. Kirsten Kappert-Gonther | Seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages (Bündnis 90/Die Grünen) und seit Januar 2022 stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses. Von 2011 bis 2017 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und Sprecherin für Gesundheitspolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Von 2005 bis 2017 eigene Praxis für Psychotherapie in Bremen; Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

    Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt ÖGD„In einem modernen ÖGD wird Gesundheitsförderung zum Coachingprozess“

    Die 21. BVPG-Statuskonferenz beleuchtete, welche Bedeutung dem Öffentlichen Gesundheitsdienst als zentralem Akteur für die kommunale Prävention und Gesundheitsförderung zukommt. Über die Neuausrichtung des ÖGD spricht Prof.in Dr. Dagmar Starke, kommissarische Leiterin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen (AÖGW) und BVPG-Vorstandsmitglied. 

    In der Gesundheitspolitik nimmt die Stärkung von Public Health oder Öffentlicher Gesundheit eine bedeutsame Rolle ein. Was heißt das für den ÖGD von Morgen, was sind die Herausforderungen und Möglichkeiten?

    Die „neue“ Aufmerksamkeit der Politik gegenüber Public Health/Öffentlicher Gesundheit kann erst der Anfang einer Neuorientierung sein. Wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, dass diese insbesondere dadurch zustande gekommen ist, dass wir eine Pandemie haben mit einem Virus, dessen Eigenheiten anfangs noch recht unbekannt waren und damit ein großes Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung darstellten.

    Heute wissen wir mehr darüber und verfügen über wirksame Impfstoffe, die zumindest sehr schwere Krankheitsverläufe weitestgehend verhindern, dennoch dürfen wir das Bedrohungspotential nicht außer Acht lassen. Insbesondere sind die nicht intendierten Folgen absichtsvollen Handelns, etwa die starken Kontaktbeschränkungen in der ersten Welle der Pandemie und die Konsequenzen beispielsweise im Bereich häuslicher Gewalt, psychischer Beeinträchtigungen aber auch einer Zunahme von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen.

    Der ÖGD steht sowohl mit Blick auf die SARS-CoV-2-Pandemie als auch zusätzlichen Herausforderungen, etwa die Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Teilen der Welt, vor großen Aufgaben, insbesondere die Verminderung ungleicher Gesundheitschancen aufgrund struktureller Benachteiligung sollten im Fokus kommunaler Prävention und Gesundheitsförderung stehen.

    Hinzu kommen die Herausforderungen infolge der Klimakrise. Hier ist einerseits das Handeln auf politischer Ebene gefragt, national wie international. Gleichzeitig sind kommunal Entscheidungstragende gefragt, die Klimakrise ernst zu nehmen und ressort- und sektorübergreifend in allen Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen.

    Ein Gedanke wäre, nicht nur die Gesundheitsfolgenabschätzung als regelhaften Prozess für politische Entscheidungen zu institutionalisieren, sondern diese um eine Klimafolgenabschätzung zu erweitern. Der ÖGD als zahlenmäßig größter Public Health Akteur vor Ort kann zudem flankierende Maßnahmen auf kommunaler Ebene initiieren oder zumindest anregen – wie beispielsweise Wasserspender in Schulen, Schattenspender in Innenstädten und Hitzeaktionspläne. Darüber hinaus muss der ÖGD seine bereits jetzt vorhandenen Möglichkeiten nutzen, wie etwa im Rahmen des Städtebaus und der Stadtentwicklung, und auch dazu Stellung nehmen.


    Der ÖGD ist prädestiniert dazu, einen partnerschaftlichen Prozess mit allen kommunalen Akteuren zu initiieren und zu koordinieren, um das Potenzial der Kommune als Dach-Setting voll auszuschöpfen und die Gesundheit vor Ort zu fördern. Welche Hürden müssen überwunden werden, damit der ÖGD diese Rolle vor Ort zukünftig noch besser ausfüllen kann?

    Die wesentlichsten Hürden sind die gesetzliche Verankerung dieser Aufgaben in den Gesundheitsdienstgesetzen sowie die personelle Ausstattung. Nachdem Nordrhein-Westfalen lange Zeit das einzige Bundesland war, das kommunale Vernetzungsstrukturen in kommunalen Gesundheitskonferenzen gesetzlich verankert hatte, haben mittlerweile mit Baden-Württemberg und Hessen weitere Länder hier einen gesetzlichen Rahmen geschaffen. In anderen Bundesländern gibt es zwar teilweise vergleichbare Strukturen wie etwa die Gesundheitsregionen in Bayern und Niedersachsen, aber eben leider eher in Form von Projekten denn institutionalisiert.

    Weitere Aspekte sind die Initiierung und Implementierung solcher Strukturen, deren politische Legitimation sowie die Verbindlichkeit von Handlungsempfehlungen. Dazu ist es gleichermaßen notwendig, dass die Kommunen eine entsprechende Gesundheitsberichterstattung aufbauen und damit in die Lage versetzt sind, daten- und bestenfalls evidenzbasiert Empfehlungen zu formulieren.

    Die Zusammenarbeit in solchen vernetzten Strukturen muss dabei auf Augenhöhe erfolgen, und Partialinteressen sollten hinter gemeinsamen Zielen zurückstehen. Dies ist gleichsam verbunden mit einer hohen Kooperationsbereitschaft und einer qualifizierten Moderation der Netzwerke.

    Auch müssen im ÖGD die Kompetenzen für ein Public Health Management sowie für die Strategieformulierung weiterentwickelt werden.


    Bereits mit dem „Leitbild für einen modernen Öffentlichen Gesundheitsdienst“ aus dem Jahr 2018 wurden die Weichen für die zukünftige Ausrichtung des ÖGD gestellt. Der Pakt ÖGD setzt das fort: So soll der ÖGD nicht nur für den Infektionsschutz, sondern auch als kommunaler Akteur u. a. zur nachhaltigen Herstellung und Sicherung gesundheitlicher Chancengleichheit zuständig sein. Wie kann das gelingen?

    Diese Zielsetzung ist an sich nicht neu, entsprechende Forderungen sind schon in der Ottawa Charta formuliert worden und leider nach wie vor aktuell.

    Für diese Aufgaben sind zunächst einmal gute Kenntnisse der Bevölkerung notwendig sowie eine qualifizierte, kleinräumige Gesundheitsberichterstattung, die sich bestenfalls auf verschiedene Datenquellen stützen kann und nicht nur auf die amtlichen Statistiken.

    Hinzu kommen entsprechende (digitale) Kompetenzen, diese Daten zu verknüpfen, auszuwerten und zu interpretieren. Zur Umsetzung sind ein kompetenter Umgang mit Planungsinstrumenten und die Bereitschaft, die Grundprinzipien der Gesundheitsförderung, namentlich Teilhabe, Empowerment und Partizipation ernst zu nehmen, unabdingbar.

    Das heißt: Der ÖGD muss sich selbst eine anwaltschaftliche Rolle verschreiben und Communities in Veränderungsprozessen unterstützen. Gesundheitsförderung wird damit bestenfalls zu einem Coachingprozess.

    Gleichzeitig müssen diese Prozesse flankiert werden von einer konsequenten Weiterentwicklung des Health in All Policies-Ansatzes innerhalb der Kommune, aber auch auf Landes- und Bundesebene. Das bedeutet, egal ob im Bildungsbereich, in der Stadtentwicklung oder mit Blick auf die Umwelt: Die Bedeutung von Gesundheit muss innerhalb von Planungsprozessen systematisch berücksichtigt werden!


    Wie machen sich die Entwicklungen bezüglich des Paktes ÖGD in der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen bemerkbar?

    Wir verzeichnen eine enorme Entwicklung der Teilnehmendenzahlen in allen Aus- und Weiterbildungen, vor allem in der Weiterbildung zur/zum Fach(zahn)ärzt:in für Öffentliches Gesundheitswesen, bei den Hygiene- und Lebensmittelkontrolleur:innen als auch bei der Weiterbildung zur sozialmedizinischen Assistent:in.

    Gleichzeitig haben wir Anfang 2022 einen Run auf unser eLearning-Angebot „Impfen zum Schutz gegen COVID-19“ erlebt, weil die niedergelassenen Zahn- und Tiermedizinerinnen und -mediziner eine Fortbildung nachweisen mussten, um impfen zu dürfen.

    Auch die Fachforen zum Pakt für den ÖGD mit unterschiedlichen Schwerpunkten, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung, hatten ebenfalls hohe Teilnehmendenzahlen und die Webseminare in Kooperation mit dem Robert Koch-Institut zu aktuellen Themen der Versorgung Geflüchteter aus der Ukraine oder Affenpocken haben ebenfalls Rekordzahlen erreicht.

    Zugleich sind auch alle anderen Fortbildungsthemen nachgefragt, sodass wir schon jetzt deutlich über den Zahlen von 2019 liegen. Und last but not least tragen wir mit einer Reihe von Projekten zu unterschiedlichen Themenkomplexen dazu bei, die Wissenschaftsbasierung des ÖGD zu stärken.

    Dies alles können wir nur bewältigen, weil wir ebenfalls über den Pakt ÖGD die Möglichkeit haben, unser Personal aufzustocken. So ist zur Sicherung der Qualität und Bewältigung der hohen Nachfrage unser Team stark angewachsen.


    Welche Auswirkungen zeigen sich in der Praxis des ÖGD? Welche Rückmeldungen erhalten Sie?

    Die Rückmeldungen sind sehr unterschiedlich: Im Vordergrund steht die Gewinnung qualifizierten Personals, wobei natürlich weder Fach(zahn)ärztinnen und -ärzte ÖGW noch Hygienekontrolleurinnen bzw. -kontrolleure auf dem freien Markt verfügbar sind. Sie alle müssen entsprechend aus- und weitergebildet werden, was die große Nachfrage bei der AÖGW mit sich bringt. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsämter berichten, dass ein gegenseitiger Abwerbeprozess mit Unterstützung von Headhuntern und Beratungsfirmen von statten geht. Das ist ein Nebeneffekt, der alles andere als angenehm ist.

    Bei einigen Ämtern sehen wir, dass neben Ärztinnen und Ärzten auch Gesundheitswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und weitere Kolleginnen und Kollegen mit Public Health-Qualifikation eingestellt und gerade die weiter oben genannten Bereiche wie Gesundheitsberichterstattung, Planung und Koordination besetzt werden. Allerdings sind die Sorgen groß, da ein Großteil der neuen Stellen befristet ist. So könnte am Ende der Paktlaufzeit die Situation möglicherweise schlimmer sein als zuvor, denn wir haben zudem auch eine bedeutende demografische Entwicklung im ÖGD erwarten.

    Ich denke, dass sich alle eine langfristige Perspektive wünschen und es nicht bei diesem „einen Pakt“ bleiben kann. Es wäre schön, wenn Bund und Länder hierzu bald ins Gespräch kommen könnten.


    Die Fragen stellten Dr. Beate Grossmann und Linda Arzberger, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.

    Lesen Sie dazu auch:

    Weitere Informationen zur BVPG-Statuskonferenz „Die Bedeutung des ÖGD für die kommunale Prävention und Gesundheitsförderung“ erhalten Sie hier.

    Interview mit Prof. Dr. Ilona Kickbusch: Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Health in All Policies.

    Interview mit Caroline Costongs, Direktorin von EuroHealthNet (EHN): „We need a systemic change to protect the wellbeing of people and planet“.

    Mehr zu Prävention und Gesundheitsförderung erfahren Sie hier.

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    Prof.in Dr. phil. Dagmar Starke I Seit 2022 kommissarische Leiterin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf; Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Public Health e.V. (DGPH) und der BVPG; Arbeitsschwerpunkte: Öffentliches Gesundheitswesen, (Sozial-) Epidemiologie, Gesundheitsförderung, Public Health-Forschung.

    Die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf ist eine öffentlich-rechtliche Bildungsinstitution, die von den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen finanziert wird. Sie wurde 1971 als bundesweit einzige länderübergreifende Einrichtung zur Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Beschäftigten im Öffentlichen Gesundheitsdienst gegründet. Ferner gehört die angewandte Forschung im Bereich des Öffentlichen Gesundheitswesen zu ihren Aufgaben.

    Prävention und Gesundheitsförderung - Erster Bericht des Beirates Pakt ÖGD„Den ÖGD stärken – Prävention und Gesundheitsförderung weiterdenken“

    Der erste Bericht des Beirates Pakt Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD) liegt vor. Dr. Ute Teichert, Vorsitzende des Beirates, Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen (AÖGW) und Vorstandsmitglied der BVPG, berichtet über die Ergebnisse und anstehenden Maßnahmen.

    Der Beirat Pakt ÖGD (Beirat zur Beratung zukunftsfähiger Strukturen im Öffentlichen Gesundheitsdienst in Umsetzung des Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst), in dem auch die BVPG vertreten ist, spricht Empfehlungen dazu aus, wie der Öffentliche Gesundheitsdienst langfristig und zukunftsorientiert modernisiert werden kann. Die Stärkung der Rolle des ÖGD ist zudem auch eines der BVPG-Schwerpunktthemen.

    Frau Dr. Teichert, der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst wurde mit einer Förderlaufzeit von sechs Jahren beschlossen. Der zur Umsetzung des Pakts einberufene „Beirat Pakt ÖGD“ hat nun erste Empfehlungen ausgesprochen.

    Dies vorweg: Der Beirat Pakt ÖGD besteht aus drei Einzelsachverständigen und weiteren zwölf Sachverständigen, die als Mitglieder berufen wurden. Unter diesen Sachverständigen für Institutionen ist auch die BVPG mit einem Sitz im Beirat vertreten. Der Beirat hat auf seiner konstituierenden Sitzung im April 2021 insgesamt drei Arbeitsgruppen gegründet. Eine davon beschäftigte sich mit dem Thema Personal, Finanzierung und Digitalisierung in der Umsetzung des Paktes für den ÖGD, eine weitere mit den Themen Krisenmanagement, Risikokommunikation und Vernetzung. Die dritte Arbeitsgruppe schließlich befasste sich mit dem Thema Public Health inklusive Forschung und Wissenschaft sowie Medizin und inhaltliche Weiterentwicklung.


    Was sind die wesentlichen Inhalte? Welche konkreten Maßnahmen stehen nun an?

    Die genannten drei Arbeitsgruppen haben ihre Ergebnisse in einem zehn Kapitel umfassenden Bericht zusammengetragen. Er enthält konkrete Empfehlungen für Bund und Länder, wie der ÖGD-Pakt umgesetzt werden kann und soll. So empfiehlt der Beirat beispielsweise, dass die Stellen, die über den ÖGD-Pakt in den Gesundheitsämtern geschaffen werden, nicht an die Paktlaufzeit geknüpft, sondern unbefristet eingerichtet werden. Empfohlen werden überdies Maßnahmen zur Unterstützung von vulnerablen Bevölkerungsgruppen und eine grundsätzliche Stärkung der Gesundheitsberichterstattung als Grundlage von Gesundheitsplanung.

    Außerdem war der Beirat beauftragt, in seinem ersten Bericht den Fokus auf Krisenmanagement zu legen. Hier bedarf es nach den Analysen der Expertinnen und Experten zum Beispiel unter anderem eines umfangreichen Qualifizierungsangebots für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, einer besseren Vernetzung mit den Katastrophenschutzbehörden und praktikabler Leitlinien in puncto Risiko- und Krisenkommunikation.


    Die Empfehlungen des Beirates betreffen also in erster Linie das Management von Pandemien und gesundheitlichen Notlagen. Wie können denn Prävention und Gesundheitsförderung – auch und gerade auf kommunaler Ebene – im und durch den ÖGD befördert und gestärkt werden?

    Im Pakt für den ÖGD ist keine Stellenkonzentration auf den Bereich der Pandemie vorgesehen. Der ÖGD soll insgesamt gestärkt werden. Das bedeutet, dass Prävention und Gesundheitsförderung natürlich auch analysiert und weitergedacht werden müssen. Die einzelnen Länder – und die Gesundheitsämter – erstellen für die Umsetzung des Pakts Personalaufwuchskonzepte. Dabei müssen die Bereiche Prävention und Gesundheitsförderung mit entsprechender personeller Verstärkung eingeplant werden.

    Wichtig ist dabei unter anderem, dass bisherige Hürden für Neueinstellungen abgebaut werden. Das beginnt bei den Stellenausschreibungen. Hier muss künftig noch genauer und differenzierter geschaut werden, welche Berufsqualifikationen für den Bereich der Öffentlichen Gesundheit insgesamt wichtig sind beziehungsweise wie man Fachpersonal für den Öffentlichen Gesundheitsdienst kontinuierlich aus- und weiterbildet.


    Dem ersten Beiratsbericht sollen weitere folgen. Welches werden die thematischen Schwerpunkte sein und wie sind die Verantwortlichkeiten aufgeteilt?

    Der Expertenbeirat hat auf seiner ersten Sitzung nach Veröffentlichung des Berichts beschlossen, die Struktur der Arbeitsgruppen beizubehalten und zu erweitern. Deren genaue Zusammensetzung ist zurzeit noch in Abstimmung.

    Da wir uns aber weiterhin in einer Pandemie befinden, wird der Themenbereich Risiko- und Krisenkommunikation auch in den kommenden Monaten im Fokus stehen. Hierzu wird es außerdem voraussichtlich einen eigenen Bericht mit Analysen und Empfehlungen des Expertenbeirats geben. Neu hinzugekommen ist eine Arbeitsgruppe zum Thema Digitalisierung im ÖGD, einem der Schwerpunkte für 2022. Geplant ist unter anderem, externe Expertinnen und Experten zu diesem Thema anzuhören.

    Eine weitere Arbeitsgruppe wird sich mit dem Bereich Multiprofessionalität im ÖGD beschäftigen. Dazu gehören auch die Themen Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Verbindung des ÖGD mit Wissenschaft und Forschung.

    Für etwa Mitte 2022 ist eine zusätzliche neue Arbeitsgruppe geplant, die sich mit dem Thema „länderübergreifende Aufgaben des ÖGD“ beschäftigen wird.


    Der zukünftige ÖGD soll bürgernah, multiprofessionell und vernetzt sein. Was muss sich denn in der Aus-, Fort- und Weiterbildung für Mitarbeitende im ÖGD und in der Forschung in Zukunft ändern, damit das erreicht werden kann?

    Es geht darum, diese Kompetenzen zu verstärken und auszubauen. Die bereits bestehende Bürgernähe des ÖGD hat sich ja unter anderem während der Corona-Pandemie gezeigt. Die Gesundheitsämter wurden und werden als direkte Ansprechpartner wahrgenommen und genutzt. Außerdem gibt es die aufsuchenden Hilfen, etwa für behinderte und psychisch kranke Menschen sowie den kinder- und jugendpsychologischen Dienst. Auch die Sprechstunden für andere Bereiche werden intensiv genutzt.

    Die ganze Bandbreite der vom ÖGD „beackerten“ Themen und Inhalte lässt sich auch am Veranstaltungsportfolio der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen ablesen, die Aus-, Fort- und Weiterbildungen für alle Berufsgruppen des ÖGD anbietet. Dazu gehören auch Trinkwasserkontrollen, Krankenhausbegehungen und vieles mehr. Dieses Spektrum umfasst explizit auch Prävention und Gesundheitsförderung. So bildet die Akademie beispielsweise kommunale Gesundheitsmoderatorinnen und -moderatoren aus.

    Um darüber hinaus die Digitalisierung im ÖGD voranzubringen, hat die Akademie außerdem das Projekt „Digitale Tools im ÖGD“ eingerichtet, das vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert wird. Im Rahmen dieses Projekts werden digitale Lösungen durch ein strukturierteres und standardisiertes Prüfverfahren bewertet. Es geht darum, festzustellen, welche dieser Tools für den Einsatz im Öffentlichen Gesundheitsdienst geeignet sind. Eine entsprechende Auswahl wird dann beispielsweise den Gesundheitsämtern als Orientierungshilfe bei der Auswahl von digitalen Lösungen zur Verfügung gestellt.


    Die Fragen stellten Dr. Beate Grossmann und Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.

    Lesen Sie dazu auch:

    Weitere Informationen zur BVPG-Statuskonferenz „Die Bedeutung des ÖGD für die kommunale Prävention und Gesundheitsförderung“ erhalten Sie hier.

    Interview mit Dr. Katharina Böhm, Geschäftsführerin der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAGE) und Mitherausgeberin des ersten Standardwerks zum Thema Health in All Policies (HiAP) in Deutschland.

    Interview zum Thema „Geschlechtersensible Prävention und Gesundheitsförderungmit Prof. Dr. Sabine Oertelt-Prigione, Universität Bielefeld und Radboud Universität in Nijmegen (NL).

    Mehr zu Prävention und Gesundheitsförderung in den Lebenswelten erfahren Sie hier.

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    Dr. med. Ute Teichert | MPH; Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf; Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD); Vorsitzende des von Bund und Ländern eingesetzten Beirats zur Beratung zukunftsfähiger Strukturen im Öffentlichen Gesundheitsdienst in Umsetzung des Pakts für den ÖGD; Kommissionsmitglied im von der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag berufenen Sachverständigenausschuss nach § 5 Absatz 9 Infektionsschutzgesetz. Arbeitsschwerpunkte: Öffentliches Gesundheitswesen, Pakt für den ÖGD, Bevölkerungsmedizin und Krisenmanagement, Public Health-Forschung.

    Die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen mit Sitz in Düsseldorf ist eine öffentlich-rechtliche Bildungsinstitution, die von den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen finanziert wird. Sie wurde 1971 als bundesweit einzige länderübergreifende Einrichtung zur Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Beschäftigten im Öffentlichen Gesundheitsdienst gegründet. Ferner gehört die angewandte Forschung im Bereich des Öffentlichen Gesundheitswesens zu ihren Aufgaben.

    Prävention und Gesundheitsförderung - Schwerpunkt Health in All Policies„Jetzt ist es wichtig zu sagen: Wir schaffen in Deutschland das modernste Öffentliche Gesundheitswesen der Welt!“

    Die weltweit renommierte Professorin im Feld der Gesundheitsförderung, Ilona Kickbusch, über Health in All Policies, die internationale Bedeutung und Umsetzung des Begriffes „Wellbeing“ und darüber, für wie bedeutsam sie es erachtet, jetzt in Deutschland das modernste Öffentliche Gesundheitswesen der Welt zu schaffen.

    Frau Kickbusch, wir wissen seit Verabschiedung der Ottawa-Charta, also seit mehr als 30 Jahren: Gesundheit wird in den Lebenswelten der Menschen erzeugt und erhalten und ist vor allem von Faktoren abhängig, die nicht primär durch das Gesundheitssystem selbst beeinflussbar sind weshalb „Health in All Policies“ ein wichtiger Grundsatz der Gesundheitsförderung ist. Dennoch haben sich gesundheitsfördernde Gesamtpolitiken bislang noch nicht so richtig durchsetzen können – zumindest in Deutschland nicht. Woran liegt das?

    Um dies zu beantworten, möchte ich zeitlich noch etwas früher anfangen. Die Ottawa-Charta hat ja eigentlich „nur“ Wissen zusammengetragen, das schon sehr lange vorhanden war. In Deutschland hat beispielsweise Rudolf Virchow anlässlich der Cholera-Epidemie in Schlesien ganz klar gesagt, dass es die Armut und die sozialen Ungleichheiten sind, die zu den extremen Cholera-Ausbrüchen geführt haben.

    Es ist also ein Wissen, das wir in Public Health schon sehr lange haben, das aber in der Politik nur selten ernst genommen wurde und selten bewusst eingesetzt worden ist. Es war eine unserer Aufgaben, mit der Ottawa Charta gerade dieses Public Health-Wissen wieder in den Vordergrund zu bringen und zu zeigen, was dieses Wissen für die modernen Gesellschaften, also damals Mitte der 1980er Jahre, bedeutet. So lautete dann auch der Untertitel „Towards a new public health“.

    Zudem hat Health in All Policies ja zwei Dimensionen: Wenn ein Staat „gut regiert ist“, wenn es soziale Absicherung und weniger soziale Ungleichheiten gibt, dann ist von vornherein eine bessere Gesundheit „garantiert“. Andererseits geht es aber auch um das bewusste Bemühen um Gesundheit in möglichst allen Politikbereichen. Diese zwei Aspekte muss man immer miteinander verbinden. Also anerkennen, wenn in anderen Politikbereichen etwas gemacht wird, das der Gesundheit dient und zum anderen proaktiv Co-Produktionen zu schaffen.

    Die Relevanz dieser Co-Produktionen haben wir in dem südaustralischen Projekt zu Health in All Policies, an dem ich mitgearbeitet habe, versucht zu verdeutlichen. Es gilt also, gemeinsam zu arbeiten, also zum Beispiel ein Umweltministerium und ein Gesundheitsministerium oder ein Verkehrsamt mit einem Gesundheitsamt. Das heißt mit anderen Worten die Frage zu beantworten: Wo finden wir Politikansätze, durch die in der Zusammenarbeit jeder Bereich gewinnt?

    In unserer Arbeit zu Health in All Policies haben wir festgestellt: Je näher die Politikbereiche an den Menschen sind, wie zum Beispiel im Kommunalbereich, umso besser und schneller ist Health in All Policies umsetzbar und umso häufiger ist auch ein größerer politischer Wille dafür vorhanden. Man ist einfach näher an den Menschen und die Menschen sind näher an der Politik.


    Wie gelingt die Umsetzung auf der nationalen Ebene?

    Auf nationaler Ebene ergeben sich zwei Anknüpfungspunkte: Zum einen gibt es die sogenannten Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die Sustainable Development Goals (SDG), die ganz klar in allen Bereichen, auch in Bezug auf Gesundheit, ein Modell entwickelt haben, mit dem Ziel, dass alle Politikbereiche in Co-Produktion zusammenarbeiten müssen, damit wir eine nachhaltige Gesellschaft schaffen können. Dadurch hat sich für Health in All Policies auf nationaler Ebene mehr getan, wie wir in verschiedenen SDG-Analysen festgestellt haben.

    Zum anderen hat sich teilweise unter einer anderen Terminologie etwas getan – und das ist hier sehr wichtig zu erwähnen: Wir sehen, dass vor allem im englisch-sprachigem Raum und dort, wo es ins Englische übersetzt wird, der Begriff Wellbeing sehr viel häufiger benutzt wird. Wir sehen auch in der Umsetzung von Health in All Policies, wie eingangs genannt in Australien oder auch aus anderen Bereichen, dass der Wellbeing-Begriff sehr viel anschlussfähiger ist.

    „Health“ klingt ja häufig so: Jetzt kommen die Gesundheitsleute und wollen so eine Art Gesundheitsimperialismus einführen, wobei Gesundheit als Wert über alles andere gestellt wird. Das Konzept der Gesundheitsförderung hat zwar immer wieder betont, dass Gesundheit als gesellschaftlicher Wert wichtig ist, nicht aber der höchste Wert, hinter dem alles andere zurücksteht. Wellbeing scheint ein Begriff zu sein, der sehr viel besser auch in die Co-Produktion passt. So ist SDG 3 zum Beispiel ja auch Health and Wellbeing.


    Wie haben andere Länder ähnliche Herausforderungen bewältigt? Und wo sind die Anknüpfungspunkte in Deutschland?

    Ein ganz wichtiger Bereich der Entwicklung sind hier die Diskussionen zur „Wellbeing Economy“, zu der es viele interessante Politikansätze gibt. Schottland ist ein Beispiel, wo es auch dazu eine Beratungsgruppe der Regierung gibt. Es ist ein Denken – wir hätten es vor zehn Jahren Health in All Policies genannt – man nennt es heute Wellbeing Economy – das teilweise aufbaut auf einer neuen Art, ökonomisch zu denken. Kate Raworth hat dazu die sogenannte „doughnut economy“ entwickelt, die darauf abzielt, unsere Nachhaltigkeits- und Wohlbefindensgedanken unter anderem mit Ökonomie und Gesundheit zusammen zu bringen.

    Und Finnland, eines der führenden Länder in Health in All Policies, hat das Verständnis von Health in All Policies auf nationaler Ebene ausgeweitet und dazu beigetragen, auch in der Europäischen Union eine Diskussion über die Wellbeing Economy einzuführen. In dieser Wellbeing Economy spielen Gesundheit und Wohlbefinden als wichtige Indikatoren des Erfolgs staatlicher Politik eine bedeutende Rolle.

    Bis zur Coronakrise haben wir beobachtet, dass einige Staaten diesen Gedanken aufgegriffen haben. Beispielsweise hat Neuseeland ein sogenanntes Wellbeing-Budget eingeführt. Das dortige Bruttosozialprodukt ist nicht nur über ökonomisches Wachstum definiert, sondern muss auch alle anderen Nachhaltigkeitsziele beinhalten, so auch Gesundheit.

    Dies ist ein wichtiges Signal auch für Deutschland. Es gibt ja bereits einen Deutschen Nachhaltigkeitsrat und den Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung. Wo immer in der deutschen Regierung über Nachhaltigkeit diskutiert wird, muss man sehr dahinter sein und sehr viel mehr Druck ausüben, dass Co-Produktionen entstehen und die Gesundheit im Sinne von Health in All Policies ganz signifikant verankert wird. Denn auch der engere Begriff der Nachhaltigkeit, also der der Umwelt, ist nicht mehr von Gesundheit zu trennen.

    Es gibt außerdem derzeit sehr viel Bewegung in Politik und Gesellschaft. So sind zum  Beispiel die Vier-Tage-Woche oder der Zugang zu Kitas bereits Diskussionsthemen der Gesundheitsförderung, weil sie einiges bewirken – sowohl für die Gesundheit von Kindern wie von Müttern. Wir müssen als Gesundheitsförderer kreativer sein, wo und wie wir uns wegen dieser Co-Produktion einbringen. Und wir müssen auch ein bisschen mehr die Gesundheit vor die Parteipolitik stellen – das ist mir sehr wichtig.


    Worauf kommt es also an, wenn wir die Politik von „Health in All Policies“ nachhaltig überzeugen wollen?

    Wichtig ist, Gesundheitsförderung an gesellschaftliche Innovationen und Bewegungen für ein besseres Leben anzubinden. Man müsste noch mehr „eintauchen“ in die digitale Transformation wie beispielsweise im Hinblick auf Kindergesundheit und die Regulierung von Werbung im digitalen Bereich. Man müsste sich vielleicht auch so „heißen“ Themen wie „Pornografie im digitalen Bereich“ aussetzen und klar machen, dass wir Gesundheitsförderer in der Mitte der Gesellschaft sind und wissen, wo es brennt und wo Co-Produktionen viel bewirken könnten.

    Aber genauso wichtig ist auch eine valide Datenlage. Wenn ich zum Beispiel die Verkehrspolitik von Kopenhagen nehme, so muss ich als Gesundheitsförderer in der Lage sein, benennen zu können: Die Tatsache, dass eine bestimmte Anzahl x von Menschen mit dem Fahrrad zu Arbeit fährt, hat den folgenden Gesundheitsimpact y durch Rückgang an Herzinfarkten, Atemwegserkrankungen, Autounfällen und bringt ökonomisch gesehen für unsere Stadt den Betrag z.

    Das ist natürlich eine Motivation für die Gesundheitsfachleute, noch enger mit den Verkehrs- und anderen Expertinnen und Experten zusammenzuarbeiten.

    Ich glaube, diese ständige Interaktion, dieser Austausch von Daten, ist für die Co-Produktion sehr bedeutsam. Deshalb ist auch die internationale Zusammenarbeit so wichtig. Denn dort kann man immer wieder Beispiele finden und wir können dann sagen: Lasst uns das bei uns auch anwenden! Ich halte diese Art von Evidenz, die politisch eingebracht werden kann, die einen ökonomischen Faktor und einen Gesundheitsfaktor hat, für sehr wichtig.


    Die Corona-Pandemie hat ja „Gesundheit“ tatsächlich in allen Politikbereichen zu einem bedeutsamen Thema gemacht. Wird es also jetzt die Chance für „Health in All Policies“ geben?

    Es wurde immer gesagt: Das Virus macht keine Unterschiede. Aber es trifft auf eine Gesellschaft mit großen Unterschieden und es hat diese verstärkt. Es hat aufgezeigt, dass verschiedenen Determinanten der Gesundheit in den Vordergrund treten, wie sozialer Wohnungsbau oder soziale Ungleichheit. Wir haben in Amerika gesehen, dass soziale Determinanten, die bislang weniger beachtet worden sind, wie Gender und Rassismus, in den Vordergrund getreten sind.

    Was wir jetzt bei der Arbeit bei der Weltgesundheitsorganisation sehr stark betonen, ist, dass es keine Gesundheitssicherheit ohne soziale Sicherheit geben kann. Man sieht ja derzeit weltweit, dass ein Wohlfahrtsstaat und eine Wellbeing-Economy tatsächlich auch einen Unterschied machen. Es wurde plötzlich deutlich: Man kann keine Gesundheitspolitik ohne Wirtschaftspolitik machen. Und ich glaube, dass dies eine nachhaltige Erkenntnis ist.


    Das erscheint plausibel und nachvollziehbar. Aber selbst wenn die Gesundheitsförderungs-Community noch so überzeugt ist vom „Health in all Policies“-Ansatz – wenn die Akteurinnen und Akteure der anderen Politikbereiche nicht mitziehen, bringt das wenig. Was sind aus Ihrer Sicht die überzeugendsten Argumente, mit denen man zu einem gemeinsamen Vorgehen motivieren kann?

    Es geht nur mit Co-Produktionen, es geht nur, wenn man das gemeinsam angeht. Man muss sich also zusammenraufen und das kann auch tatsächlich lange dauern, wie wir es in dem eingangs genannten südaustralischen Projekt gesehen haben.

    Man muss die Evidenzen zusammensuchen, es bedeutet natürlich auch, produktiv streiten zu können, man muss Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herbeiziehen – es ist ein herausforderndes Unterfangen! Das heißt, man muss lernen, Gesundheitsdiplomatie anzuwenden, zu verhandeln, zuzuhören und auch mal dem anderen die Erfolge zuschreiben. Es ist etwas, das man bis zu einem gewissen Grad lernen kann. Bei der Weltgesundheitsorganisation haben wir Kurse und Trainingshandbücher dazu entwickelt.


    Und was können wir konkret in Deutschland tun?

    Die Bundesregierung hat vor Kurzem einen Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst verabschiedet, der die Gesundheitsämter in den nächsten Jahren auf vielen Ebenen stärken soll. Jetzt also muss die Gesundheitsförderung bereitstehen und benennen können, was Öffentliche Gesundheit heißt.


    Das heißt?

    Eben nicht nur  Gesundheitssicherheit und Epidemiologie. Und wenn Epidemiologie, dann auf jeden Fall Sozialepidemiologie, so wie sie uns Michael Marmot gelehrt hat. Politische Ökonomie gehört dazu, denn wir sehen ja gerade bei COVID-19, wie politisch öffentliche Gesundheit ist, wie sie angegriffen wird, auf welche politischen Auseinandersetzungen sie vorbereitet sein muss. Und auch hier helfen besonders Zahlen und Daten anstatt Vermutungen. Aber gleichzeitig muss man vermitteln können, was Zahlen überhaupt bedeuten – den Politikern wie auch der Bevölkerung.


    Und was empfehlen Sie für die Umsetzung?

    Ich bin überzeugt, es braucht einen Ausbildungsschub und die Beantwortung der Fragen wie: Wer soll in den Gesundheitsämtern arbeiten? Welche Art von Kompetenz benötigt das Personal? Wie beschreibt man die Aufgabe eines Gesundheitsamtes? Als eine Aufgabe, die Health in All Policies und Wellbeing auf lokaler Ebene beinhaltet? Soll das Gesundheitsamt auch eine Art Gesundheitstreff werden, wie wir es beispielsweise bei der Gesunde Städte-Bewegung ausprobiert haben? Es gibt sehr viel da draußen, es gibt viele kleine Initiativen, die gerne einen „Haken“ hätten, an dem sie sich andocken könnten.

    Gerade jetzt, wo man sozusagen durch COVID-19 die Bedeutung des Public Health in den Gesundheitsämtern neu entdeckt hat, jetzt ist es wichtig, die Gesundheitsförderungs-Stimme zu erheben und zu sagen: Erinnert euch, es gibt eine Ottawa-Charta, es gibt neue Erkenntnisse, es gibt neue Evidenzen, es gibt neue Konzepte. Und jetzt schaffen wir in Deutschland das modernste öffentliche Gesundheitswesen der Welt, das aufbaut auf einem Health in All Policies-, auf einem Wellbeing-Ansatz und einem Nachhaltigkeitsdenken.“


    Auch das „Präventionsforum“ beschäftigte sich in diesem Jahr mit Prävention und Gesundheitsförderung als gesamtgesellschaftliche und politikfeldübergreifende Herausforderungen – beispielhaft diskutiert an den Schwerpunktthemen „Pflege“ und „Psychische Gesundheit“. Wie erfolgversprechend ist es aus Ihrer Sicht, mit einzelnen Schwerpunktthemen in die Umsetzung von gesundheitsfördernden Gesamtpolitiken einzusteigen?

    Ich halte das Schwerpunktthema, das gesetzt wurde, für außerordentlich bedeutsam, auch aus der Frauenperspektive. Ein Großteil der pflegenden Kräfte ist weiblich. Sie brauchen auch zunehmend Gesundheitsförderungskompetenzen, sie sind sehr viel näher dran an vielen der sozialen Determinanten als manchmal die Medizin und sie leiden selber außerordentlich unter dem Arbeitsdruck. Viele dieser Belastungen sowohl bei dem Patienten wie bei dem Betreuenden sind im Bereich des Mental Health, der psychischen und der sozialen Gesundheit. Ich halte das für eine sehr wichtige Diskussion.

    Ich glaube aber auch, dass das Präventionsforum genutzt werden müsste, um beispielsweise eine Arbeitsgruppe einzurichten, die sich dem Thema „New Public Health“ in Deutschland annimmt. Wenn jetzt diese historische Situation gegeben ist, dass etwas, für das wir so lange gekämpft haben – bessere Ausbildung, bessere Gesundheitsämter, interdisziplinäres Robert Koch-Institut, und so weiter – wahr wird, muss man eingreifen. Trotz Präventionsgesetz ist ja vieles nicht geschafft worden. Jetzt aber gilt es, auf Bundes- und auf Länderebene Allianzen und Koalitionen für eine neuen Öffentlichen Gesundheitsdienst zu bilden.


    Die Fragen stellte Dr. Beate Grossmann, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.

    Lesen Sie dazu auch:

    Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Health In All Policies: Interview mit Dr. Katharina Böhm, Geschäftsführerin der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAGE) und Mitherausgeberin des ersten deutschsprachigen Standardwerks zu Health in All Policies („Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Das Konzept Health in All Policies und seine Umsetzung in Deutschland“).

    Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt COVID-19: Interview mit Dr. Rüdiger Krech, Direktor für Gesundheitsförderung bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

    Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Gesundheitliche Chancengleichheit: Interview mit Stefan Bräunling, Leiter der Geschäftsstelle des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit.

    Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Gesundheitliche Chancengleichheit: Interview mit Brigitte Döcker, Vorstandsmitglied des AWO Bundesverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, Vorständin Sozial- und Fachpolitik Deutscher Caritasverband, Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik Diakonie Deutschland und Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – Gesamtverband.

    Mehr zu Prävention und Gesundheitsförderung erfahren Sie hier.

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    Prof. Dr. Dr. (mult.) llona Kickbusch | Gründerin und Vorsitzende des Global Health Centre am Graduate Institute in Genf. Sie ist Mitglied im Global Preparedness Monitoring Board, in der WHO High Level Independent Commission zu NCDs, Co-Chair von UHC 2030 und Council Chair des World Health Summits. Ilona Kickbusch war in deutsche Aktivitäten zu G7 und G20 eingebunden sowie in die Entwicklung der deutschen Strategie für globale Gesundheit. Sie initiierte @wgh300, eine Liste von führenden Frauen in der globalen Gesundheit. Ilona Kickbusch ist Co-Vorsitzende einer Lancet FT Kommission zu “Governing health futures 2030: growing up in a digital world.” Sie ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes.