Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt: Kindheit„Gesund beginnt im Mund – von Anfang an!“

Der Aktionskreis zum Tag der Zahngesundheit (TdZ), dem auch die BVPG angehört, informiert jedes Jahr am 25. September über Themen rund um die Mundgesundheit. Dr. Romy Ermler, Vizepräsidentin der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), spricht über die Prävention von Zahn- und Munderkrankungen und den diesjährigen Schwerpunkt des TdZ.

Der Tag der Zahngesundheit (TdZ) wurde 1991 durch den Verein für Zahnhygiene e.V. (VfZ) gegründet. Die Arbeitsversammlung des Aktionskreises, zu dem rund 30 Mitglieder aus Gesundheitswesen und Politik gehören, stellt jedes Jahr eine andere Zielgruppe in den Fokus. In diesem Jahr lautet das Motto: „Gesund beginnt im Mund – von Anfang an!“

„Gesunde Zähne, gesunder Körper“ sagt der Volksmund. Warum ist die Prävention von Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen auch wichtig für die allgemeine Gesundheit?

Es ist mittlerweile fachlich gut belegt, dass die Mund- und Allgemeingesundheit in enger Wechselbeziehung zueinander stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Beispiele hierfür sind die Wechselwirkungen zwischen einer Zahnbettentzündung, also einer Parodontitis, und einem Diabetes mellitus sowie zwischen Parodontitis und Herz-Kreislauferkrankungen.

Präventive und therapeutische Maßnahmen zur Gesunderhaltung von Zähnen und Zahnfleisch tragen somit auch immer dem Erhalt der allgemeinen Gesundheit bei. Der Entfernung von Zahnbelägen und Zahnstein kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Neben einer gründlich ausgeführten häuslichen Mundhygiene werden schwer zugängliche Stellen sowie weiche und harte Beläge an den Zähnen am besten im Rahmen einer regelmäßig stattfindenden professionellen Zahnreinigung oder einer Parodontitisbehandlung in der Zahnarztpraxis entfernt, um Entzündungen vorzubeugen bzw. zu therapieren.


Die Teilnahme an der jährlichen Zahn-Vorsorgeuntersuchung, auch Bonusuntersuchung genannt, wird von den gesetzlichen Krankenkassen honoriert. Wie wird diese präventive Maßnahme in der Bevölkerung in Anspruch genommen?

Allgemein gilt für die Prävention oraler Erkrankungen, dass dem individuellen Mundgesundheitsverhalten eine große Bedeutung zukommt. Zur Verbesserung der Mundgesundheit sind dabei die eigene Mundhygiene als auch die präventionsorientierte Inanspruchnahme zahnärztlicher Vorsorgeangebote wichtig.

Gut drei Viertel aller Befragten der letzten Deutschen Mundgesundheitsstudie aus dem Jahr 2014 gaben an, mindestens einmal jährlich zu ihrem Zahnarzt bzw. zu ihrer Zahnärztin zur Kontrolluntersuchung zu gehen. Aufgeschlüsselt nach Altersgruppen zeigt sich, dass 81,9 Prozent der befragten Kinder, 72,0 Prozent der Erwachsenen und 89,6 Prozent der Seniorinnen und Senioren zur zahnärztlichen Vorsorge gingen. Diese guten Zahlen dürften stabil geblieben bzw. nochmals angestiegen sein.

Viele kennen auch die zahnärztlichen Empfehlungen zur Mundpflege und zum regelmäßigen Zähneputzen. Dazu gehört auch die regelmäßige Inanspruchnahme der Professionellen Zahnreinigung (PZR), die statistische Korrelationen zum Rückgang der Parodontitis erkennen lässt.

Wir können also stolz sagen: Die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hat mit ihrer präventionsorientierten Neuausrichtung vor mehr als 30 Jahren die Richtigkeit und Effektivität der eingesetzten Präventionsstrategien belegt!


Der Tag der Zahngesundheit stellt jedes Jahr eine andere Zielgruppe in den Mittelpunkt. 2024 geht es mit „Gesund beginnt im Mund – von Anfang an!“ um die Schwangerschaft und die Mundgesundheit von Babys und Kleinkindern. Warum ist die Zahn- und Mundgesundheit für Schwangere und Kinder in den ersten drei Lebensjahren so bedeutsam?

Gerade während der Schwangerschaft ist eine regelmäßige, gründlich durchgeführte Mundpflege besonders wichtig. Hormonelle Veränderung erhöhen die Anfälligkeit für Zahnfleischbluten und Zahnfleischentzündung in der Schwangerschaft. Durch veränderte Essgewohnheiten wie vermehrt zuckerhaltige Zwischenmahlzeiten, eine veränderte Speichelzusammensetzung und häufiges Erbrechen, das den Zahnschmelz angreift, steigt auch das Kariesrisiko. Zudem gibt es Hinweise, dass bestehende Erkrankungen der Mundhöhle in Zusammenhang mit Schwangerschaftskomplikationen wie einem verminderten Geburtsgewicht oder einer Frühgeburt stehen.

Bereits in den ersten Lebensjahren des kleinen Kindes spielt die Zahn- und Mundgesundheit eine wichtige Rolle. Wird die Zahnpflege, einschließlich der Verwendung von Fluoriden, vernachlässigt, kann eine frühkindliche Karies entstehen, die im schlimmsten Fall zu einem vorzeitigen Verlust der betroffenen Milchzähne führt. Die Folgen sind weitreichend, denn Milchzähne sichern das Beißen und Kauen, tragen wesentlich zur Sprachentwicklung bei und sorgen als „Platzhalter“ für die richtige Positionierung der bleibenden Zähne.


Milchzähne sind also auch für die nachfolgenden Zähne von großer Bedeutung, dennoch gilt Karies als die häufigste chronische Erkrankung bei Kindern im Vorschulalter. Was muss in den ersten drei Lebensjahren besonders beachtet werden?

Es geht vor allem darum, bei Eltern und pädagogischem Fachpersonal in Kitas ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Milchzähne nicht einfach ein Provisorium sind, die bald durch die „richtigen“ Zähne ersetzt werden. Ein kariesbedingter frühzeitiger Milchzahnverlust zieht weitreichende Folgen nach sich und lässt sich meist durch geeignete Mundhygienemaßnahmen, zuckerarme Speisen und Getränke sowie die Anwendung von Fluoriden vermeiden.

Säuglinge und Kleinkinder sollten täglich spielerisch an das Zähneputzen herangeführt werden und die Zahnpflege von Anfang an als etwas Selbstverständliches erleben. Im Vordergrund steht hierbei nicht das Erlernen einer Zahnputztechnik, sondern das Ritual. Das anschließende Nachputzen erfolgt durch die Eltern mit einer fluoridierten Kinderzahnpasta. Dass die Verwendung von Fluoriden zu den wichtigsten kariespräventiven Maßnahmen zählt, ist wissenschaftlich belegt. Eltern werden deshalb in Zahnarztpraxen früh zu geeigneten Fluoridierungsmaßnahmen beraten.

Im Rahmen der Ernährung sollte darauf hingewiesen werden, dass nicht nur die Menge, sondern vor allem die Frequenz der Einnahme zuckerhaltiger Speisen und Getränke für die Entstehung einer Karies von Bedeutung sind. Vor allem die hochfrequente Gabe zuckerhaltiger Getränke in Nuckel-bzw. Saugerflaschen muss unterbleiben.


In der Schwangerschaft halten sich hartnäckig viele Mythen, die auch die Zahngesundheit betreffen. Der Tag der Zahngesundheit 2024 will damit aufräumen und aufklären.

Ja, das wollen wir. „Jede Schwangerschaft kostet einen Zahn“ oder „Jedes Kind kostet einen Zahn“ sind Sätze, mit denen werdende Mütter während einer Schwangerschaft häufig konfrontiert werden. Zwar lockert die Hormonumstellung das Zahnfleisch und erhöht damit die Anfälligkeit für eine sogenannte Schwangerschaftsgingivitis, eine Entzündung und Schwellung des Zahnfleischs.

Allerdings kann eine sorgsam durchgeführte Mundhygiene dem entgegenwirken. Während frühere Generationen auf Grund mangelnder Kenntnisse über die Bedeutung und Durchführung einer guten Mundhygiene öfter mit Zahnverlust zu kämpfen hatten, muss sich heutzutage keine Schwangere mehr davor fürchten.


In sozialen Brennpunkten sind Prävalenzen von Karies von bis zu 40 Prozent zu finden. Wie kann es gelingen, die Zielgruppe der (werdenden) Eltern wirksam zu erreichen?

Das ist ein sehr wichtiges Anliegen. Werdende Eltern, die selten oder nie zum Zahnarzt gehen, sollten möglichst früh für das Thema Zahngesundheit sensibilisiert werden. Diese Ansprache kann frühzeitig rund um die Geburt, beispielsweise durch Hebammen oder Familienhebammen und -entbindungspflegende sowie direkt im Lebensumfeld durch in der interkulturellen Gesundheitsvermittlung tätiges Fachpersonal erfolgen.

Später kommt Einrichtungen wie Kinderkrippen, Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen eine besondere Bedeutung für die Mundgesundheitserziehung zu. Im Rahmen der gesetzlich verankerten Gruppenprophylaxe werden hier all diejenigen Kinder erreicht, welche wir individualprophylaktisch weniger gut betreuen können. Die Gruppenprophylaxe hat eine wichtige sozialkompensatorische Wirkung, die nach einem Betreuungsrückgang während der Coronapandemie nun wieder forciert werden muss!


Die Fragen stellte Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG).

BVPG-Interview mit Dr. Lennert Griese, Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bielefeld mit Forschungsschwerpunkt Gesundheitskompetenz. Er ist Teil des WHO Action Network on Measuring Population and Organizational Health Literacy (M-POHL) und des Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz (NAP): „Die Gesundheitskompetenz ist ungleich in der Bevölkerung verteilt.”

BVPG-Interview mit Kristine Soerensen, Präsidentin der International Health Literacy Association and chair of Health Literacy Europe: „Health literacy champions are in demand!”

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Dr. Romy Ermler | MBA, seit 2021 Vizepräsidentin der Bundeszahnärztekammer (BZÄK),  seit 2005 niedergelassene Zahnärztin in eigener Praxis in Potsdam. Berufspolitisch ist sie u.a. auch Vorstandsvorsitzende der Initiative proDente sowie im Vorstand der Landeszahnärztekammer Brandenburg. In diesen Funktionen hat sie, ergänzend zu ihrem Praxisalltag, viele Themen im Aufgabenbereich: von Parodontologie über Gesundheitskompetenz bis zu Berufsnachwuchs und Digitalisierung.

Bundeszahnärztekammer | Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) vertritt die gesundheits- und professionspolitischen Interessen des zahnärztlichen Berufsstandes. Dabei ist sie dem Gemeinwohl verpflichtet. Mitglieder sind die Zahnärztekammern. Aufgaben sind u.a.die Förderung einer auf fortschrittlichen, wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Zahnheilkunde, die den Patienten in den Mittelpunkt stellt, die Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung und der Einsatz für ein freiheitliches, zukunftsorientiertes Gesundheitswesen.

Tag der Zahngesundheit | Der 25. September ist jährlich der Tag der Zahngesundheit. Motto 2024: „Gesund beginnt im Mund – von Anfang an!“. Im Mittelpunkt stehen Schwangerschaft und erste Babyjahre inklusive Ernährung.Dem Aktionskreis zum Tag der Zahngesundheit gehören BZÄK, BZÖG, GKV-Spitzenverband, VfZ und rund 30 Organisationen aus Gesundheitswesen und Politik an, darunter auch die BVPG. Ziel ist es, das Wissen über Zahn- und Mundgesundheit in der Bevölkerung zu vergrößern.

Prävention und Gesundheitsförderung - Schwerpunkt COVID-19„Die Schule ist ein Schlüsselbereich für präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen“

Wochenlanges Homeschooling, strenge Kontaktbeschränkungen, völlig neue Tagesstrukturen. Welche gesundheitsfördernden Maßnahmen haben sich in der Krise als wirksam erwiesen haben, erklärt Professor Dr. Reiner Hanewinkel, Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) und langjähriges BVPG-Vorstandsmitglied.

Herr Professor Hanewinkel, welche Auswirkungen hatte das Homeschooling auf die Familien?

In den Familien waren oftmals die Mütter stärker belastet als die Väter. Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung durch das Marktforschungsinstitut Forsa im Auftrag der DAK-Gesundheit, in der Anfang Mai 2020 über 1.000 Elternteile und jeweils ein zugehöriges Kind im Alter von zehn bis 17 Jahren befragt wurden, ergab folgende, beunruhigende Ergebnisse: Etwa 90 Prozent der Eltern waren wegen der Auswirkungen der Krise besorgt. Fast jedes zweite Elternteil fühlte sich oft oder sehr oft gestresst. In jeder vierten Familie gab es Streit. Etwa die Hälfte der Eltern fühlte sich während der Schulschließung fast täglich erschöpft. Jeweils etwa drei von zehn Befragten berichteten von psychosomatischen Beschwerden wie Schlafproblemen oder Schmerzen. Mütter berichten häufiger von fast täglichen Bauch-, Rücken- oder Kopfschmerzen. Auch von Traurigkeit sind sie in der Zeit des Lockdowns stärker betroffen als Väter.

Aber auch bei Kindern und Jugendlichen machte sich der Lockdown bemerkbar, vor allem bei jüngeren Kindern: Vier von zehn Elternteilen nahmen in der Befragung bei ihren Zehn- bis Zwölfjährigen ein verringertes Wohlbefinden im Lockdown wahr. 37 Prozent der jüngeren Kinder berichten selbst von häufigen Stresserfahrungen und 27 Prozent von Traurigkeit.


Welche Bevölkerungsgruppen sind besonders betroffen?

Die „COPSY“-Studie des Universitätskrankenhauses Eppendorf hat aufgezeigt, dass von den psychischen Belastungen vor allem Kinder aus sozial schwächeren Familien betroffen sind. Es zeigte sich in dieser Studie, dass ein geringes Einkommen der Eltern und beengter Wohnraum das Auftreten psychischer Auffälligkeiten bei Kindern während des Lockdowns förderten. Um ein Beispiel zu bringen: Einer Familie bestehend aus einer alleinerziehenden Mutter, einem Kindergartenkind und einem schulpflichtigen Kind im Grundschulalter, die in einer kleinen 2,5-Zimmer-Etagenwohnung ohne Balkon leben müssen, hat der Lockdown einiges abverlangt. Die Situation wurde zusätzlich dadurch verschärft, dass das gesamte Hilfesystem, das den Menschen ja gerade in Krisenzeiten Unterstützung bieten soll, ebenfalls vom Lockdown betroffen war. Das hat z. B. Beratungsstellen, Sozialarbeit, Tagestreffs usw. vor große Probleme gestellt.


Wo können Prävention und Gesundheitsförderung ansetzen? Welche Maßnahmen haben sich als wirksam erwiesen?

Mangelnde Rückzugsmöglichkeiten und fehlende Tagesstruktur können besonders in Krisenzeiten wie dem Lockdown zu Streit und Konflikten innerhalb der Familien führen. Eine geregelte Tagesstruktur mit Arbeits-, Freizeit-, aber auch Schlafenszeiten können nicht nur dazu beitragen, Konflikte innerhalb der Familien zu vermeiden, sondern tragen auch zu einem erhöhten Wohlbefinden bei.


Welche Rolle kommt der Bewegungsförderung zu?

„Der Junge muss an die frische Luft“ ist der Titel der Autobiographie von Hape Kerkeling. In dieser Aussage steckt viel Wahrheit. Eine Vielzahl von Untersuchungen zeigt auf, dass sportliche Aktivitäten einen präventiven Effekt im Hinblick auf das Auftreten von Depressionen und Ängsten haben können. Insbesondere Kinder und Jugendliche haben einen „natürlichen“ Bewegungsdrang, der bei jüngeren Kindern ausgeprägter ist als bei älteren Heranwachsenden. Dieser sollte nicht unterbunden werden. Zur Zeit des Lockdowns war dies natürlich nicht ganz einfach, da auch die Sportvereine und Fitnesscenter geschlossen waren und auch der tägliche Weg zur Schule, hoffentlich zu Fuß oder mit dem Fahrrad, nicht stattfand. Daher musste teilweise auf Indoor-Aktivitäten ausgewichen werden, wobei Apps und Videokanäle durchaus unterstützend genutzt wurden.


… und welche Rolle spielt die Ernährung?

Eine gesunde Ernährung mit viel Obst, Gemüsen, Salaten, Vollkornprodukten, magerem Fleisch und vorzugsweise Fisch und eine reichliche, zuckerfreie Flüssigkeitsaufnahme haben nicht nur viele positive Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit. Wer sich gesund ernährt, fühlt sich besser, steigert sein Wohlbefinden und seine psychische Stabilität.


Welche Lehren können wir aus dem Lockdown ziehen?

Der Lockdown war für uns alle neu und potentiell angstauslösend. Generell gilt, dass angstauslösende Situationen unser Bindungssystem aktiviert: Wir suchen die Nähe vertrauter Personen, bei denen wir Geborgenheit erlebt haben. Wenn gleichzeitig soziale Kontakte zur Durchbrechung von Ansteckungsketten auf ein Minimum reduziert oder ganz unterbunden werden wie im Lockdown, liegt hier wahrscheinlich die größte Herausforderung. Bei Kindern, insbesondere Kleinkindern kommt noch hinzu: Kinder brauchen unbedingt Kinder. Andere Kinder sind vor allem im Kindergarten- und Grundschulalter wichtige Partner, um Sozialverhalten zu erlernen und Problemlöse-Fähigkeiten zu erwerben. Persönliche Kontakte sind hier unerlässlich.

Für ältere Kinder und Jugendliche ergeben sich durchaus Chancen durch die Nutzung moderner Medien. Ich habe selbst bei meiner 14-jährigen Tochter beobachtet, wie hilfreich WhatsApp und Co. für das Aufrechterhalten von sozialen Kontakten im Klassen- und Freundeskreis sein können. Aber auch hier gilt: Klare Regeln zum Umgang mit dem Handy sind hilfreich, um ein Ausufern erst gar nicht aufkommen zu lassen.


Durch die COVID-19-Pandemie können auch neue Chancen erwachsen. Wo sehen Sie diese für die Prävention und Gesundheitsförderung im Setting „Schule“, insbesondere im Handlungsfeld „psychische Gesundheit“?

Die Schule ist seit jeher ein Schlüsselbereich für präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen – insbesondere, weil dort im Prinzip alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden. Leider konnte sich die Gesundheitsförderung und Prävention bisher nicht an vielen Schulen neben Deutsch oder Erdkunde als Unterrichtsfach etablieren, sondern bestenfalls Nischenplätze besetzen. Hier könnte sich die COVID-19-Pandemie in der Tat als Chance für die Prävention und die Gesundheitsförderung entpuppen. Eine Krise – als ein Wendepunkt verstanden – lässt eben auch Neues entstehen.

Menschen können Krisen umso konstruktiver bewältigen, je stabiler ihr „psychisches Fundament“ ist. Wie wichtig dieses Fundament ist, zeigt uns die derzeitige Situation. Mithilfe gezielter Programme zur Lebenskompetenzförderung, Resilienz und psychischen Gesundheit kann eine Schule sich am Bau dieses Fundaments beteiligen.


Was hieße das konkret?

Die Chance zu nutzen hieße also, die Schule zukünftig stärker in ihrer Bedeutung für das physische, soziale und psychische Wohlbefinden ihrer Beteiligten zu betrachten. Und zwar sowohl „schulintern“ von Lehrkräften, Eltern und Schülerschaft als auch in der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an die Schule. 

Ob die Verarbeitung der Corona-Krise gelingt, hängt auch davon ab, wie die Schule mit dem Erlebten umgeht. Hier sollte nicht einfach ein „Schlussstrich“ gezogen werden, sondern Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte müssen die Möglichkeit erhalten, ihre Erfahrungen angemessen zu reflektieren, um dann zu bewerten, was davon für die Zukunft Bedeutung haben soll.


Welche Empfehlungen haben Sie für Kinder und Jugendliche zum Start in das neue Schuljahr?

Da muss man natürlich nach Alter differenzieren. Insgesamt erfahren die Schülerinnen und Schüler durch den Online-Unterricht auch ein neues Maß an Selbstbestimmung und Eigenverantwortung für den eigenen Lernprozess. Das ist durchaus positiv. Zu welchen Uhrzeiten möchte ich heute zu Hause lernen? Welche Tools möchte ich dafür nutzen? Wie teile ich mir die Aufgaben ein? Wenn die neue Eigenverantwortung keine Überforderung darstellt, kann sie auch Spaß machen!

Allgemein kann man sagen, dass Kinder und Jugendliche statt der „social distance“ lieber eine „physical distance“ halten sollten. Also: „Nutzt die digitalen Möglichkeiten, um mit euren Freunden und Freundinnen aus der Schule, dem Sportverein und den anderen Gruppen, in denen ihr euch bewegt, in Kontakt zu bleiben.“ Freundschaft zu erfahren, ist für die psychische Gesundheit ein wichtiger Faktor. Aber vor dem Hintergrund der gestiegenen Mediennutzungszeiten von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie lautet die zweite Empfehlung: „Habt eure Medienzeiten im Blick und bestimmt feste Zeiten, in denen ihr Offline seid. Körper und Geist brauchen Bewegung und – medienfreie – Entspannung.“


Die Fragen stellte Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.

Lesen Sie dazu auch:

Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt COVID-19: Interview mit Dr. Rüdiger Krech, Direktor für Gesundheitsförderung bei der Weltgesundheitsorganisation.

Mehr zu Prävention und Gesundheitsförderung erfahren Sie hier.

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Prof. Dr. Reiner Hanewinkel | Medizinpsychologe; psychologischer Psychotherapeut; apl. Professor für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universität Kiel; Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord); Mitbegründer des Aktionsbündnis Nichtrauchen (ABNR); Mitglied des wissenschaftlichen Kuratoriums der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen; ehemaliges BVPG-Vorstandsmitglied.