Interview zum Weltgesundheitstag 2020„Wir vergeuden vielfach das Potenzial der Pflegefachpersonen“

Im Mai 2019 beschloss die World Health Assembly, das Jahr 2020 als weltweites Jahr der Pflegekräfte und Hebammen auszurufen, und auch den Weltgesundheitstag am 7. April, diesen beiden Gesundheitsberufen zu widmen. Interview zum Weltgesundheitstag 2020 mit Dr. h.c. Franz Wagner, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe e.V. (DBfK), und Präsident des Deutschen Pflegerates e.V. (DPR).

Welches sind Ihre drei wichtigsten Botschaften für Deutschland am diesjährigen Weltgesundheitstag?

Das Motto des diesjährigen Weltgesundheitstages ist „Unterstützt Pflegefachpersonen und Hebammen“. Damit soll der Beitrag dieser beiden Berufsgruppen zur Gesundheit und Lebensqualität unterstrichen werden. Gerade aktuell werden insbesondere die Pflegeberufe zu den „systemkritischen“ Berufen gezählt. Ich würde mir wünschen, dass das nicht nur bei einer Pandemie so eingeschätzt wird.

Für Deutschland bedeutet das Motto des Weltgesundheitstages 2020 Folgendes:

Unterstützt die Pflegefachpersonen und die Hebammen, indem ihr

  1. ihre Kompetenzen sich uneingeschränkt entfalten lasst
  2. ihnen gute Arbeitsbedingungen gebt, sie entsprechend auch materiell honoriert und
  3. sie gut ausgebildet – und zwar an Hochschulen.

Wo sind wir in Deutschland auf einem guten Weg? 

Das Bild hierzu ist gemischt. Bei den Hebammen ist es aus meiner Sicht in einigen Bereichen besser als in der Pflege. Für Hebammen wird – in Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie der EU – die Ausbildung komplett an Hochschulen verlagert. Die Gesetzgebung dazu ist gut gelungen – und es gab auch nicht genügend Opposition, um diese Entwicklung aufzuhalten. Ganz anders bei den Pflegefachpersonen. Dazu herrscht in vielen Köpfen ein noch völlig undifferenziertes Bild vor von Pflege als freundliche Unterstützung vor allem bei den Alltagsaktivitäten wie Körperpflege oder eine Tätigkeit auf der Basis ärztlicher Anweisungen. Warum dazu ein Studium erforderlich sein soll, erschließt sich vielen Entscheidungsträgern nicht. Und dazu kommt noch die riesige Zahl von Menschen, die in einem Pflegeberuf arbeiten. Jegliche Veränderung multipliziert sich vielfach und sorgt dann für Kosten, die man nicht zu tragen bereit ist.

Dass es in der Pflege durchaus unterschiedliche Qualifikationsniveaus gibt und noch mehr geben muss, wird verkannt. So wird „pflegen kann doch jeder“ zum politisch nicht korrekten, aber doch verbreiteten Meinungsbild. Es reflektiert auch die stereotype Geringschätzung gegenüber einem klassischen Frauenberuf.

Wir vergeuden vielfach das Potenzial der Pflegefachpersonen in Deutschland. Pflegefachpersonen können viel mehr als unser System ihnen zutraut und erlaubt. Bürokratische und regulatorische Hürden schränken den Nutzen pflegerischer Fachkompetenzen für Patientinnen und Patienten, Pflegebedürftige, aber auch gesunde Menschen ein.

Zudem werden Pflegende werden nicht wertgeschätzt, wenn es um ihre Arbeitsbedingungen geht. Das beginnt bei der Organisation pflegerischer Arbeit: Zum Beispiel sind Dienstpläne oft nicht zuverlässig, und endet bei der unterdurchschnittlichen Vergütung, die in keiner Weise den Anforderungen entspricht.


Was können wir in Deutschland von anderen Ländern in puncto Anerkennung und Wertschätzung dieser beiden Gesundheitsberufe lernen?

Andere Länder – wie zum Beispiel unsere Nachbarn im Norden oder die Niederlande – sind viel besser darin, Pflegefachpersonen in der Gesundheitsversorgung einzusetzen. Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ ist dort selbstverständlich. Damit ist gemeint, dass die pflegerische Perspektive gleichwertig neben der medizinischen, psychologischen oder sozialarbeiterischen Perspektive steht und berücksichtigt wird. Pflegefachpersonen können dort viel autonomer in ihrem Kompetenzbereich arbeiten und teilen sich Kompetenzen und Zuständigkeiten mit anderen situativ. Dort erfolgt die Qualifizierung seit vielen Jahren über ein Studium, was die Zusammenarbeit der Gesundheitsprofessionen deutlich verbessert.

Zudem werden den Pflegefachpersonen Arbeitsbedingungen geboten, die ihnen Raum für den Einsatz ihrer Kompetenzen geben – was zugleich die Berufszufriedenheit fördert. Auch das Ansehen ist anders als bei uns. Bei uns gelten Pflegefachpersonen als besonders vertrauenswürdig. Da belegen wir seit vielen Jahren einen Spitzenplatz unter den Top 3. Aber in anderen Ländern werden Pflegefachpersonen auch als hochspezialisierte Expertinnen und Experten gesehen.


Welche Bedeutung haben „Prävention und Gesundheitsförderung“ bei diesen beiden Gesundheitsberufen?

Gerade bei diesen beiden Berufsgruppen liegt ein großes Potenzial für Prävention und Gesundheitsförderung. Denn sie kommen dem Alltagsleben der betreuten Menschen sehr nahe und erhalten dadurch Einblicke in das tägliche Verhalten und können dabei Risiken, aber auch Potenziale für gesundheitsförderndes Verhalten identifizieren und entsprechende Angebote machen.  

Aber auch die Hebammen und die Pflegefachpersonen selbst sind wichtige Adressaten für Gesundheitsförderung und Prävention. Denn gerade in der Pflege gibt es ein überdurchschnittlich hohes Auftreten von berufsbedingten Gesundheitsstörungen und Erkrankungen. Das Bewusstsein für eigenes gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern, muss schon in der Ausbildung beginnen und sich am Arbeitsplatz fortsetzen.


Die Fragen stellte Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.

Auf dem 9. gemeinsamen Präventionskongress des Bundesministeriums für Gesundheit und der BVPG „Prävention und Gesundheitsförderung in der Pflege“ hat Dr. h.c. Franz Wagner zum Thema „Prävention und Gesundheitsförderung in Pflegeeinrichtungen aus der Sicht der Pflegeberufe“ referiert.

Lesen Sie dazu auch:

Prävention und Gesundheitsförderung in der Pflege – Interview mit Prof. Dr. Corinna Petersen-Ewert, Professorin für Gesundheits- und Sozialwissenschaften an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg.

Betriebliche Gesundheitsförderung in der Pflege – Interview mit Prof. Dr. Gudrun Faller, Professorin für Kommunikation und Intervention im Kontext von Gesundheit und Arbeit und Prof. Dr. Tanja Segmüller, Professorin für Alterswissenschaft; beide Hochschule für Gesundheit – hsg Bochum.

Mehr zu Prävention und Gesundheitsförderung in der Pflege erfahren Sie hier.

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Dr. h.c. Franz Wagner | Bundesgeschäftsführer des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe e.V. (DBfK); Präsident des Deutschen Pflegerates e.V. (DPR); langjährige Erfahrung in nationalen und internationalen Gremien zu Gesundheit und Pflege Arbeitsschwerpunkte: Pflegepolitik, Pflegebildung, Internationale Aspekte von Pflege und Gesundheit; Pflegefachmann.  

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (DBfK) ist die berufliche Interessenvertretung der Gesundheits- und Krankenpflege, der Altenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Der DBfK ist deutsches Mitglied im International Council of Nurses (ICN) und Gründungsmitglied des Deutschen Pflegerates (DPR).

Der Deutsche Pflegerat e.V. (DPR) wurde 1998 gegründet, um die Positionen der Pflegeorganisationen einheitlich darzustellen und deren politische Arbeit zu koordinieren. Als Bundesarbeitsgemeinschaft des Pflege- und Hebammenwesens und Partner der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen vertritt der Zusammenschluss aus 15 Verbänden heute die Interessen von insgesamt 1,2 Millionen Beschäftigten der Pflege.

Interview: Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Bewegung und Bewegungsförderung„Bewegungsförderung ist in Deutschland dringend notwendig“

Welche Evidenz und welche Rahmenbedingungen bestehen zur Implementierung von Bewegung und Bewegungsförderung und wie sieht die Um­setzung von Bewegungsförderung in der Praxis aus? Mehr dazu von Angelika Baldus, hauptamtlicher Vorstand des DVGS, und Dr. Mischa Kläber, Ressortleiter für Präventionspolitik und Gesundheitsmanagement beim DOSB.

Die BVPG-Statuskonferenz „Bewegung und Bewegungsförderung“, hat Anfang März 2020 in Kooperation mit dem Deutschen Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V. (DVGS) und dem Deutschen Olympischen Sportbund e.V. (DOSB) stattgefunden. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Errungenschaften der letzten Jahre für die Bewegungsförderung? Welchen Beitrag leistet der DVGS bzw. DOSB?

Angelika Baldus: Für mich sind es vor allem zwei Dinge, die ich hier hervorheben möchte: zum Einen die auf Basis der hervorragenden Evidenz für körperliche Aktivität, Bewegung und Bewegungsförderung entwickelten Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung. Und zum Zweiten die strukturierte Identifikation der Akteurinnen und Akteure, Berufsgruppen und Multiplikatoren, die für die Bewegung und Bewegungsförderung in Deutschland relevant sind. Der DVGS leistet an dieser Stelle in Kooperation mit der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) und seinen 30 kooperierenden Hochschulen eine wesentliche Arbeit zur Wissenschaftsbegründung und hat mit der SAMBA-Analyse in Kooperation mit den Universitäten Karlsruhe und Heidelberg eine Basis zum Wissenstransfer in die Anwenderorientierung gelegt. 

SAMBA steht für eine „systematische Erfassung relevanter Akteurinnen und Akteure, Berufsgruppen sowie künftiger Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Bewegungsförderung zur Analyse und Entwicklung eines interdisziplinären Netzwerks zur nachhaltigen Bewegungsförderung“. Mit SAMBA wurden die bereits vorhandenen Strukturen analysiert und ein interdisziplinäres Netzwerks zur nachhaltigen Bewegungsförderung aufgebaut. Wir als DVGS erstellen Konzepte für biopsychosozial ausgerichtete Bewegungsangebote, die epidemiologisch fundiert und evidenzbasiert sind. Die darauf aufbauenden Maßnahmen werden dann in Kooperation mit den sport-und bewegungswissenschaftlichen Instituten und den rund 3.000 natürlichen und juristischen DVGS Mitgliedern bundesweit flächendeckend umgesetzt und evaluiert.

Mischa Kläber: Die Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung sind in der Tat eine Errungenschaft für die Bewegungsförderung in Deutschland. Sie verweisen u.a. auf das große Potenzial des Sports und bezeichnen die Sportvereine unter den Zielgruppen „Kinder & Jugendliche“, „Erwachsene“ und „Ältere Menschen“ als wichtige Kooperationspartner. Auch die genannte SAMBA-Studie belegt die Schlüsselrolle der Sportverbände. Neben den Bewegungsempfehlungen und den Erkenntnissen aus der SAMBA-Studie und der u.a. damit einhergehenden Evidenzgrundlage hat nicht zuletzt auch das 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz viel Dynamik in die Handlungsfelder der Gesundheitsförderung und Prävention gebracht. Davon profitieren natürlich auch die Bewegungsförderung und der gemeinnützige Sport: Sportvereine und der DOSB werden im Präventionsgesetz genannt. Im Begründungsteil wird auf unser Qualitätssiegel SPORT PRO GESUNDHEIT und das Rezept für Bewegung von DOSB und Bundesärztekammer verwiesen.

Die Bundesrahmenempfehlungen der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) geben eine gute Orientierung für Umsetzungsmaßnahmen: Sportvereine werden als wichtige Partner herausgestellt. Länder und Kommunen haben die Vereine beim Ausbau von Bewegungsangeboten zu unterstützen. Auch die Sport- und Gesundheitsministerkonferenz (SMK/GMK) haben sich mit Bewegungsförderung auseinandergesetzt; hier sei auf die SMK/GMK-Beschlussfassung „Unterstützung gesundheitsfördernder körperlicher Aktivitäten“ verwiesen. Der gemeinnützige Sport ist integraler Bestandteil – und SPORT PRO GESUNDHEIT wird explizit als zu unterstützendes Instrument benannt. Alle entsprechenden Prozesse wurden vom DOSB fachlich begleitet und unterstützt.

Welcher Erfolg konnte denn insbesondere für vulnerable Zielgruppen erreicht werden?

Mischa Kläber: Man merkt, dass auch die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) die Notwendigkeit einer intensiveren Befassung mit vulnerablen Zielgruppen verinnerlicht haben. Das zeigt sich auch an den Schwerpunktsetzungen des GKV-Bündnisses Gesundheit.

Angelika Baldus: Vulnerable Gruppen sind als wichtige Zielgruppe erkannt worden und sind u.a. durch das 2015 verabschiedete Präventionsgesetz und den in dessen Rahmen von den Kostenträgern verabschiedeten Bundesrahmenempfehlung endlich in den Fokus gerückt worden.

Aber lassen Sie mich an der Stelle hinzufügen: Bewegung hat trotz der eindeutigeren Evidenzgrundlage gegenüber der Ernährung einen geringeren politischen Stellenwert.


Woran liegt das?

Angelika Baldus: Dies liegt meines Erachtens daran, dass der „Sport“ im Bundesinnenministerium zwar eine eindeutige ministerielle Zuordnung hat, die Volkskrankheit „körperliche Inaktivität“ bzw. die „Bewegung und Bewegungsförderung“ aber in keinem Ministerium verankert ist. Für den Bereich Ernährung gibt es das Bundeszentrum für Ernährung, das zur Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung gehört und die Arbeit des Bundesministeriums für Ernährung unterstützt. Eine vergleichbare Institution gibt es für die Bewegung bisher nicht. Erfreulicherweise hat sich die Arbeitsgruppe „Bewegungsförderung im Alltag“ im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) verorten können, was unter anderem auch zu den beiden eben genannten Errungenschaften führte. Aber die politische Unterstützung für die Bewegung fehlt in dem Maße, wie sie für die Ernährung gewährleistet ist.


Mischa Kläber: Ich kann Frau Baldus nur zustimmen: Bewegungsförderung hat keine ministeriale Heimat wie etwa Ernährung. Es gibt für Bewegung und gesundheitsorientierten Sport keine/n unmittelbar zuständige/n Minister/in. Auch bei IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung – lässt sich ein Schiefstand zuungunsten des Bewegungsthemas feststellen. Lediglich das BMG und hier die IN FORM-AG „Bewegungsförderung im Alltag“, unter der langjährigen Leitung von Frau Dr. Ute Winkler, setzt sich seit Jahren für das Bewegungsthema auf der Bundesebene ein. Daher gilt Frau Winkler auch unser besonderer Dank!


Und wo sehen Sie Entwicklungsbedarf?

Mischa Kläber: Ein nationales Gesundheitsziel „Bewegungsmangel reduzieren“ würde aus Sicht des DOSB einen ersten richtigen und wichtigen Schritt darstellen, um bezüglich der dringend notwendigen Bewegungsförderung in Deutschland zu mehr Verbindlichkeit zu kommen.

Angelika Baldus: Dem kann ich zustimmen: Es gibt genügend Evidenz, um Bewegung und Bewegungsförderung als ein eigenes Gesundheitsziel zu begründen. Eine weitere Forderung ist sicherlich ein beim BMG angesiedeltes „Bundeszentrum für Bewegung und Bewegungsförderung“. Ein solches Zentrum müsste, um erfolgreich arbeiten zu können, paritätisch aus Wissenschaft und Anwenderorientierung besetzt sein sowie mit Akteurinnen und Akteure, die in der SAMBA-Analyse identifiziert und benannt wurden. 


Wie bewerten Sie denn die Entwicklung der E-Health-Angebote zur Bewegungsförderung?

Angelika Baldus: Digitale Medien und telemedizinische Verfahren können „echte“ Bewegungsangebote im biopsychosozialen Kontext ergänzen – aber nicht ersetzen. So können im Sinne der „Bewegungsbezogenen Gesundheitskompetenz“ Bewegungs-, Steuerungs- und Selbstregulationskompetenzen hervorragend durch digitale Medien begleitet werden wie zum Beispiel Messenger, Apps, Snack Contents, Sprechstunden, Onlineprogramme. Sie alle sollten aber durch Expertinnen und Experten oder ausgebildete Fachkräfte begleitet werden, um die Qualität der Anwendung zu sichern.

Mischa Kläber: Das kann eine gute Ergänzung sein, geht aber – wie alles im Leben – sicherlich auch mit Beschränkungen und Risiken einher. Der DOSB hat daher dazu eine Unterarbeitsgruppe „Online“ eingesetzt, die sich dezidiert mit dieser Thematik beschäftigt.


Welchen positiven Effekt erhoffen Sie sich aus dem 2019 eingerichteten Förderschwerpunkt des BMG „Bewegung und Bewegungsförderung“?

Angelika Baldus: Wir erhoffen uns eine evidenzbasierte und evaluierte Modulsammlung zur biopsychosozial orientierten „bewegungsbezogenen Gesundheitskompetenz“. Diese Modulsammlung soll dann als Basis dienen für die Konzeption, Realisation und Evaluation von bewegungsbezogenen Versorgungsketten unter Einbezug von Lebensphasen und Lebenswelten. Es wäre schön, wenn die Einzelprojekte miteinander vernetzt würden als Versorgungsketten für die Prävention und Gesundheitsförderung und daraus nicht wieder eine „Projektitis“ entstünde. Der DVGS ist im Beirat des BMG-Förderschwerpunktes und wird sich dafür einsetzen, die Ergebnisse der Einzelprojekte in einen Gesamtbaukasten zu überführen.

Mischa Kläber: Auch der DOSB ist in den Projektbeirat des BMG berufen worden. Für uns ist angesichts des Ausschreibungsschwerpunkts „Implementierungsforschung“ ausschlaggebend, was nun von der klaren empirischen Evidenz auch wirklich für die Praxis nutzbar gemacht wird. Es muss also um den Praxistransfer gehen. Wir haben eine Studie nach der anderen und zugleich einen drastisch zunehmenden Umsetzungsstau; es müssen nun endlich die vorhandenen PS aus den unterschiedlichsten Bereichen koordiniert und im Hinblick auf möglichst viele Synergien auf die Straße gebracht werden. Alle schönen Studien dieser Welt bringen nichts, wenn die produzierten Erkenntnisse nicht in der Praxis umsetzbar sind. Hier zu nennen sind u.a. die Stichworte „Nachhaltigkeit“ und „Verstetigung“.

Warum haben sich zwei Mitgliederorganisationen der BVPG gemeinsam für eine Statuskonferenz BVPG engagiert?

Angelika Baldus: DVGS und DOSB bilden die in SAMBA identifizierten wichtigen Schlüsselakteurinnen und -akteure für Bewegung und Bewegungsförderung. Beide Kooperationspartner möchten ein Signal für Interaktion und Vernetzung setzen – trotz Wettbewerb. Die Kooperation von Wissenschaft und Anwenderorientierung ist bei beiden Partnern besonders sinnvoll. Wir wollten zeigen, wie aktiv und engagiert Mitglieder der BVPG Themen in der BVPG voranbringen können. Besonders schön wäre, wenn mit solchen Aktivitäten auch politische Botschaften verknüpft werden könnten. Das würde vielleicht auch andere Mitglieder der BVPG ermutigen, aktiver zu werden. 

Mischa Kläber: Das hat Frau Baldus so schön formuliert, dass es von meiner Seite aus nichts hinzuzufügen gibt. Lediglich noch eines: vielen herzlichen Dank an den DVGS und die BVPG für die sehr gute Zusammenarbeit!


Die Fragen stellten Inke Ruhe und Ulrike Meyer-Funke, Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.

Weitere Informationen zur BVPG-Statuskonferenz „Bewegung und Bewegungsförderung“ erhalten Sie hier.

Lesen Sie dazu auch:

Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt Gesundheitliche Chancengleichheit. Interview mit Brigitte Döcker, Vorstandsmitglied des AWO Bundesverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, Vorständin Sozial- und Fachpolitik Deutscher Caritasverband, Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik Diakonie Deutschland und Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – Gesamtverband.

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Angelika Baldus  | Seit 2018 Hauptamtlicher Vorstand des Deutschen Verbands für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V. (DVGS), seit 1990 Geschäftsführerin des DVGS; Studium Lehramt mit 1. und 2.  Staatsexamen für Sport und Geschichte Sek. I und II; Qualitätsauditorin TÜV.

Der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V. (DVGS); für die Förderung der öffentlichen Gesundheit durch Bewegung. Als Fachverband qualifiziert er Bewegungsfachkräfte und vertritt deren Interessen in Öffentlichkeit und Politik. Er fördert die Wissenschaft und sorgt für die Umsetzung der Ergebnisse in der Praxis, indem er qualitätsgesicherte Bewegungsprogramme konzipiert und diese den Akteuren im Gesundheitssystem zur Verfügung stellt.

Dr. Mischa Kläber | Seit 2012 Ressortleiter für Präventionspolitik und Gesundheitsmanagement beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Zudem ist er Lehrbeauftragter für Sportsoziologie am Institut für Sportwissenschaft der TU Darmstadt und für das Themenfeld Bewegung und Gesundheit an der FAU Erlangen-Nürnberg. Zuvor war er von 2009 bis 2012 Wissenschaftlicher Assistent (Habilitand) an der TU Darmstadt und von 2006 bis 2009 Promotions­stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. 2009 erfolgte die Promotion in der Sportwissenschaft.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) mit Sitz in Frankfurt am Main ist ein eingetragener Verein (e.V.) und die größte Personenvereinigung Deutschlands. Mit seinen 100 Mitgliedsorganisationen, in denen über 27 Millionen Mitglieder in mehr als 90.000 Sportvereinen organisiert sind, ist der DOSB der größte Bewegungsanbieter in Deutschland und versteht sich zugleich als „Anwalt für Bewegung“. Daher bringt sich der DOSB seit Jahrzehnten in entsprechenden Netzwerken und Bundesgremien ein.